Wenn Computer an den Börsen handeln – Automated High Frequency Algorithmic Trading

Handelspult mit Monitoren

Bereits rund Dreiviertel des weltweiten Handels mit allerlei Wertschriften, mit Devisen und zunehmend auch mit Rohstoffen wird von selbständigen Computerprogrammen ohne jedwelche menschliche Mitwirkung getätigt. Ihre Kauf- und Verkaufsentscheidungen treffen sie in Sekundenbruchteilen aufgrund von Regeln, mit denen sie gefüttert wurden, und führen diese unverzüglich auch aus. Das heisst, diese Systeme platzieren selbständig Angebote, analysieren jene der anderen Marktspieler und wählen den Handelspartner aus, mit dem sie einen Deal abschliessen. Es ist ein Krieg zwischen Handelsrobotern. Die Branche spricht von Innovation, Potential und Wachstum. Künstliche Intelligenz in neuronalen Netzwerken, die mit Marktdaten gefüttert werden, soll das ursprünglich auf „Wenn-Dann-Algorithmen“ basierende Algo-Trading auf die nächste Evolutionsstufe hieven. Visionäre der Branche träumen schon von „Trading in the Cloud“.


The Wall Street Code

Dabei sind die Begrifflichkeiten im automatisierte Handel mit Computerprogrammen gar nicht so klar definiert. Es gibt (noch) keine allgemeingültigen Definitionen und Abgrenzungen. „Algorithmic Trading“ beziehungsweise „Algo-Trading“ besagt eigentlich nur, dass der Handel auf Algorithmen basiert d.h. mit Regeln aus den Marktdaten berechnet wird, und sagt nichts über die Geschwindigkeit oder Häufigkeit aus. „High Frequency Trading (HFT)“ bezeichnet den Hochfrequenzhandel mit Transaktionen im Millisekunden- bis Minutenbereich, wobei in der Regel mit hohen Volumina gehandelt wird, die in kleinere Einzeltransaktionen gestückelt werden. Eine Abgrenzung zwischen den Begriffen ist ohnehin rein akademischer Natur. In der Praxis sind die Transaktionsgeschwindigkeiten und Volumina frei skalierbar und werden durch die verwendeten Algorithmen und Datenleitungen bestimmt. Und mittlerweile beschränken sich diese Algorithmen nicht mehr nur auf die Auswertung der Börsenkurse, sondern werten auch Nachrichtentexte zu Ereignissen aus der ganzen Welt aus, um daraus Informationen für „vorteilhafte Geschäfte“ zu gewinnen.


Dr. Sean Gourley: High frequency trading and the new algorithmic ecosystem

Die klassischen Strategien der Algorithmen basieren hauptsächlich auf Arbitragegeschäften durch Ausnutzen von Kursdifferenzen an verschiedenen Handelsplätzen und von verschiedenen Instrumenten, Spread Trading und Verwirrung beziehungsweise Beschäftigung der Konkurrenz mit der Stellung von unsinnigen Kursen und der Verstopfung der Börsensysteme mit Orders, um aus der durch den Lärm bei der Konkurrenz verursachten Verzögerung einen Vorteil zu schlagen. Geschwindigkeit ist in diesem Geschäft alles, weshalb viel in die Infrastruktur d.h. in die Computer und die Netzwerkanbindungen an die Börsen investiert wird. Die Anforderungen an die Informatik sind entsprechend hoch, denn ein einzelner Computer wickelt auch schon gerne mal 60 Millionen und mehr Kauf- und Verkaufsaufträge an einem Tag ab.

Für Insider ist es daher auch nicht verwunderlich, dass zwischen London und New York für stolze 300 Millionen US-Dollar ein 6’021 km langes Glasfaser-Transatlantikkabel verlegt wird, um die Transaktionszeit zwischen beiden Börsen um gerade mal 6 Milisekunden zu verkürzen. Schliesslich wird pro eingesparte Millisekunde ein Gewinn von jährlich 100 Millionen US-Doller erwartet. Allein für die perfekte Verlegung-Route des neuen transatlantischen Kabels waren 18 Monate Berechnung und Planung notwendig. Für die schnellere Anbindung werden Gebühren erwartet, die um den Faktor 50 grösser sind als für die bisherige Glasfaseranbindung. Bei solchen Dimensionen wird es jedem Kleinsparer schwindlig.


Harald Lesch: Sind wir eigentlich wahnsinnig? (Quelle: ZDF Mediathek)

Die Gewinne mit dem Algo-Trading sinken seit dem Allzeithoch von 2009 allerdings kontinuierlich bei gleichzeitig steigenden Preisen für die Marktdaten, vor allem wenn diese ein paar Millisekunden früher als bei der Konkurrenz eintreffen soll. Daher können sich nur die ganz grossen Spieler den von Computern geführten Handelskrieg leisten. Dazu gehören Firmen wie Goldman-Sachs, Merrill Lynch und Citigroup. Insgesamt sind es nicht mehr als ein Dutzend dieser Unternehmen, die aber weit über 50 Prozent des weltweiten Handelsvolumens über ihre Handelsautomaten abwickeln.

Wenn mehrere Computerprogramme mit gleichen oder ähnlichen Algorithmen die gleichen Titel, Währungen oder Rohstoffe handeln, können sich diese auch schon mal gegenseitig hoch schaukeln, analog zur Akustik eine Art Resonanz erzeugen und so einen „Flash Crash“ wie zum Beispiel am 6. Mai 2010 auslösen. Solche Flash Crashes liegen in der Natur der Sache, doch die Auswirkungen des Algo-Trading auf die Stabilität von Märkten sind unberechenbar. Auch wenn die Börsenaufsichten Sicherungssysteme einführen und bei ungewöhnlichen Marktveränderungen den Handel mit den betroffenen Titeln kurzzeitig aussetzen, kann nicht verhindert werden, dass die kollektive, künstliche Schwarmintelligenz der Computerprogramme ganze Börsenplätze zum Abstürzen bringen kann – sowohl kursmässig als auch computertechnisch.

Alternativ
Flash Crash vom 06.05.2010 am US-Aktienmarkt

Dabei gäbe es zwei ganz einfache Mittel, dem computerisierten Zocker-Irrsinn ein Ende zu bereiten. Die Anzahl der Kursstellungen müssten pro Zeiteinheit limitiert werden (z.B. auf maximal 3 Kurse pro Tag) und für Haltefristen unter einer Mindestdauer (z.B. einem Jahr) müssten Transaktionssteuern im Sinne einer Lenkungsabgabe erhoben werden. Allerdings würden diese Massnahmen das Ende des Algo-Trading bedeuten, weshalb sich dagegen die ganze Macht der Wallstreet-Bankster (die übrigens nicht nur dort zuhause sind) formieren wird. Auf einen verantwortungsvollen Politiker oder einen gewissenhaften Aufsichtsbeamten, der sich traut, diesen Profi-Kriminellen das Handwerk zu legen, wartet der sichere Tod. Daher werden wir alle schön brav auf den globalen Finanzkollaps warten müssen, der schliesslich auch schon in greifbarer Nähe ist.