Immaterialgüter

Gerichts-Skandal um Copyright in Russland

Der russische Lehrer Alexander Ponosov soll wegen angeblicher Raubkopiererei erneut vor Gericht. Obwohl er in erster Instanz freigesprochen wurde, will die Staatsanwaltschaft ihn trotzdem nach Sibirien schicken und hat bereits Revision eingelegt, wie RIAN berichtet. Der ehemalige Rektor und Lehrer soll an seiner Schule illegale Kopien von Microsoft Windows und Office verwendet haben. Durch den offenen Brief von Michael Gorbatschow an Bill Gates wurde der Fall berühmt. Obwohl selbst der russische Präsident Vladimir Putin den Prozess als „kompletten Blödsinn“ bezeichnet und auch Microsoft sich von diesem Fall distanziert, lässt die Staatsanwaltschaft nicht locker.

Anscheinend glaubt ein ehrgeiziger Staatsanwalt, sich mit diesem Gerichts-Skandal profilieren zu können. Interessant ist dabei die Situation, dass zivilrechtlich gar kein Kläger vorhanden ist, der die Verletzung seiner Urherrechte einklagt oder Schadenersatzansprüche geltend macht. Demnach muss es sich bei Urheberrechtsverletzungen in Russland um Offizialdelikt handeln. Ein komisches Recht haben diese Russen. Da ist mir unser schweizer Recht um einiges sympathischer.

EU-Durchsetzungsrichtlinie für geistiges Eigentum

Die „Durchsetzungsrichtlinie“ der EU (Richtlinie 2004/48/EG vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums) soll die Interessen der Inhaber von Immaterialgüterrechten stärken. Die Umsetzung in nationales Recht stösst aber auf mancherlei Probleme und konkurriert teilweise mit geltendem Recht.

Viel Anlass zu Diskussionen gibt etwa ein Auskunftsanspruch des Rechtsinhabers zum Beispiel gegenüber Online-Providern zur Herausgabe von Nutzerdaten bei einer (erwiesenen bzw. vermuteten) Rechtsverletzung zwecks Täterermittlung und Beweismittelsicherung. Der Knackpunkt hierbei ist, welche Voraussetzungen dazu erfüllt sein müssen und ob dies nur mit richterlichem Segen erfolgen darf. Den Interessen eines möglichen Rechtsgeschädigten gegenüber steht der Schutz der Daten sowie der Privatsphäre des Einzelnen als Verdächtigter – ein klassisches Güterabwägungsproblem unseres Rechtsstaates. Der Grundsatzes der Verhältnismässigkeit und dessen Beurteilung sind dabei entscheidend. Die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen seitens der Geschädigten ist ein weiteres heiss diskutiertes Thema. Wieviel darf es denn sein und wie wird es berechnet? Aber auch die Rechtseffizienz ist ein wichtiger wenn auch (zumindest meiner Ansicht nach) nur sekundärer Aspekt.

Gesellschaftliche Veränderungen und Anpassungen der Anwendungsvorschriften bzw. Verordnungen zum geltenden Recht sind die Konsequenzen unserer modernen Informationsgesellschaft. So toll Informatik zur Herstellung sowie Weitergabe und Verbreitung von digitalen bzw. digitalisierbaren Inhalten auch ist, so generiert sie auf der anderen Seite neue rechtliche Probleme. Die Gesetze müssen zum Glück nicht grundsätzlich neu definiert werden. Das Problem besteht vielmehr in ihrer adäquaten Andwendung in Kenntniss der Möglichkeiten und Gefahren der Technologie sowie auch unter Berücksichtigung des öffentlichen Rechtsempfindens. So kann nicht davon ausgegangen werden, dass jeder seinen Computer wie ein Profi im Griff hat. Gerade die Gefahr eines unbeabsichtigten Dateitauschens in Peer-to-Peer Netzwerken (wie eDonkey, KaZaA, BearShare, LimeWire oder Morpheus) ist bei Laien sehr gross, wie das US-Patentamt in seinem kürzlich erschienenen Bericht festhält. Jemand, der sowohl die Technik im Griff haben sollte als auch die Rechtslage kennt und versteht, muss bei einer entsprechenden Rechtsverletzung zwangsläufig härter bestraft werden als Otto Normalverbraucher. Aber auch die Softwarehersteller müssen mehr in die Verantwortung genommen werden. Zudem muss die Kriminalisierung der breiten Bevölkerung vermieden werden – auch wenn dies die Lobby der Medienschaffenden und der Unterhaltungsindustrie wahrscheinlich anders sieht.

Gerade durch die neuen Immaterialgüterrechtsprobleme entstehen Berührungspunkte zwischen Informatik und Recht. Einen entsprechenden interdisziplinären Austausch vermisse ich allerdings. Bei der Beurteilung sollten die Rechtsgelehrten vermehrt Informatikfachleute beiziehen, die sich auch der Rechtsproblematik und der gesellschaftlichen Tragweite ihres Beitrages bewusst sind. Dies findet in der Praxis leider noch viel zu wenig statt. Entsprechend leidet die Rechts- und Lösungseffizienz darunter.

SONY: „Der Kopierschutz im Musiksektor ist tot“

Langsam aber sicher haben auch die Musik-Multis ein Einsehen. Für Christian Reiser, Ececutive Vice President bei Sony DADC ist DRM für Musik keine Thema mehr: „Der Kopierschutz im Musiksektor ist tot. Im Software-, Game- und Video-Bereich ist der Kopierschutz in der Branche jedoch nach wie vor unbestritten und dort funktionieren die Maßnahmen auch.“ Für Software (übrigens sind auch Games nichts anderes als Software) ist diese Aussage sicher noch eine längere Zeit richtig. Für Videos sehe ich jedoch das gleiche Schicksal wie für Musik – nur eben ein bisschen zeitverzögert.

Wie die Ergebnisse einer Umfrage von Jupiter Research bei Vertretern der Musikindustrie in der EU zum digitalen Rechte-Management (DRM) gemäss einem Bericht von BBC zeigt, erachten diese DRM-Systeme als zu restriktiv und als ein grosses Hindernis für den Online-Verkauf von Musik. Zudem bezeichnet die Mehrheit die heutigen Systeme als ineffektiv. Vom Verzicht auf den Einsatz von DRM erwarten 62% einen markanten Auftrieb. Auch der Musikkonzern EMI (weltweit grösster Musikverlag und viertgrösstes Plattenlabel) überlegt zurzeit, seine Musik zukünftig ohne DRM zu verkaufen.

Trotzdem erwartet die Studie keine kurzfristigen Änderungen in der DRM-Strategie bei den Plattenlabels. Es fehlt an den notwendigen offenen Standards und alle warten, dass dieser vom Himmel fällt. Anscheinend ist der Leidensdruck der Musikindustrie noch nicht genug gross, um Innovationen zu neuen Distributionsformen ernsthaft eine Chance zu geben. Deshalb begnügt man sich vorderhand mit kollektivem Jammern, Schuldzuweisungen und der Kriminalisierung von Otto Normalverbraucher. Dabei gibt es durchaus Ideen, wie der Markt belebt werden könnte. Bessere Qualität anstatt Strafen für „Raubkopierer“ fordert Patrick Aichroth, Experte für Musikvertrieb am Fraunhofer-Institut Digitale Medientechnologie (IDMT) in einem Gespräch mit der Presseagentur dpa, da man das illegale Herunterladen geschützter Inhalte technisch ohnehin nicht vollständig verhindern könne.

Ich wette, dass DRM – jedenfalls so wie wir es heute kennen – in spätestens zwei Jahren für keinen Content-Produzenten oder -Distributor mehr ein Thema sein wird. Gebt der Vernunft endlich eine Chance!

DRM hat längerfristig keine Existenzberechtigung

Digital Rights Management (kurz DRM genannt und auch als Digital Restriction Management bezeichnet) wird das Ende dieses Jahrzehnts nicht überleben. Der Apple-Chef Steve Jobs hat nach massiven Vorwürfen gegen Apple’s Online-Musikdienst iTunes die Musikindustrie am 6. Februar 2007 in seinem offenen Brief mit dem Titel „Thoughts on Music“ (Gedanken über Musik) aufgefordert, nicht weiter an überholten Geschäftsmodellen festzuhalten und beim Verkauf von Musik gänzlich auf DRM zu verzichten. Die Musik-Industrie hat dieses Vorpreschen von Jobs als scheinheilig bezeichnet. Damit haben die Musik-Multis nicht ganz unrecht. Schliesslich hat Apple bisher ganz kräftig am Markt für Online-Musik abkassiert (2 Milliarden Songs und 90 Millionen iPods). Da Apple sein „FairPlay“-System aus Sicherheitsgründen nicht lizenzieren will (was ich durchaus verstehe), blieb Jobs keine andere Wahl als die Flucht nach vorn. Kein Wunder, schliesslich sind in den USA bereits mehrere Sammelklagen gegen Apple’s DRM-System hängig – einerseits wegen der als illegal bezeichneten Monopolstellung und andererseits wegen angeblichen Patenrechtsverletzungen. Sollten die Kläger gewinnen, kommt dies Apple sehr teuer zu stehen. Auch Apple braucht dringend ein neues Geschäftsmodell.

Deutschlands Bundesministerium für Verbraucherschutz hat nun zusammen mit Verbraucherschutzverbänden eine „Charta für Verbrauchersouveränität in der digitalen Welt“ erarbeitet, mit dem die Rechte der Verbraucher gestärkt werden sollen. Demnach sollen geschlossene Systeme wie iTune’s FairPlay oder Microsoft’s „Zune“ auch für andere Anbieter geöffnet werden müssen. Die Charta soll Mitte März 2007 veröffentlicht werden. Ich bin gespannt, wie dies die Diskussion anheizen wird.

DRM-Systeme sind weder technisch ein adäquates Mittel zur Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen, noch werden sie in der breiten Bevölkerung akzeptiert. Mangels genügend Alternativen hat man sich lediglich vorderhand mit ihnen abgefunden. Bei Musik-CDs gibt es schliesslich auch kein DRM und sowohl der Real Player als auch Microsoft’s Windows Media Player wandeln Musik kostenlos von der CD ins MP3-Format um. Diese Dateien können anschliessend ungehindert weitergereicht und verbreitet werden. Ich persönlich bevorzuge diese Variante des Musikerwerbs, denn ich sehe beim besten Willen nicht ein, weshalb ich für schlechtere Qualität und die Beschneidung meiner Nutzungsrechte gleich viel bezahlen soll.