Unser Geld- und Wirtschaftssystem hat einen Konstruktionsfehler – Teil 10

Inhaltsverzeichnis

Die Tage unseres Geldsystems sind gezähltDies ist nun die letzte Folge in meiner Beitragsreihe zur Analyse unseres kranken Finanz- und Wirtschaftssystems und seinen grundlegenden Konstruktionsfehlern. Es ist nicht bloss ein einziger Fehler, sondern gerade der Cocktail von ein paar Designfehlern macht die Toxizität aus. Einzelne Details wurden auch mir erst beim Schreiben der Beiträge richtig bewusst. Unter anderem ist es diesen im Laufe der Zeit gewonnen Zusatzerkenntnissen zu verdanken, dass die Beitragsreihe viel länger ausgefallen ist, als ich anfangs geplant hatte. Ich hoffe, das hat trotzdem nicht zu viele von der Lektüre abgeschreckt. Schliesslich gab es zwischendurch ja auch einige illustrative Videos zur Auflockerung.

Für alle, die das Wesentliche nochmals in etwas kompakterer Form nachlesen möchten, habe ich in diesem letzten Beitrag eine Zusammenfassung mit Ergänzungen erstellt. Am Schluss dieses Beitrags findet sich dann noch ein Anforderungskatalog zu einem funktionsfähigen und gerechten Finanz- und Wirtschaftssystem.

Die Fehler im Grunddesign

Unser Geldsystem ist per Design ein exponentiell wachsendes Schneeballsystem, das keinen Gleichgewichtszustand kennt und daher auch nicht beliebig steuer- und beherrschbar ist. Geld entsteht über Kreditvergabe (d.h. Verschuldung), wobei die Zinsen für diesen Kredit aus der geschöpften Geldmenge (d.h. mit den Krediten) selber zu bezahlen sind. Wenn sich das Geld auf unserem Konto durch den Zinseszins ohne unser Zutun vermehrt, freuen wir uns darüber wie kleine Kinder. Wir blenden aber aus, dass gleichzeitig mit der Haben-Seite (Vermögen) in der Gesamtbilanz auch die Soll-Seite (Schulden) im gleichen Umfang wächst, damit die Bilanz aufgeht. Irgendjemand muss für das Vermögenswachstum arbeiten und irgendjemand muss sich für die Geldschöpfung verschulden (und Schuldzinsen bezahlen). Geld aber kann weder arbeiten, noch sich aus eigener Kraft vermehren. Geld soll in der arbeitsteiligen Wirtschaftsordnung dem Austausch von Leistungen dienen, kann aber nicht durch Leistung sondern nur über Verschuldung generiert werden.

Zusammenhang zwischen Geldmenge und Gesamtverschuldung
Zusammenhang zwischen Geldvermögen und Geldschulden

Die beiden Funktionsziele des Geldes ‚Tauschmittel‘ und ‚Wertaufbewahrung‘ sind widersprüchlich, was ich u.a. im 9. Teil im ‚funktionalen Geldmengenmodell‘ dargestellt habe, worin zwischen Umlauf- und Hortungsmenge unterschieden wird. Damit der Besitzer des gehorteten Geldes einen Anreiz erhält, das durch Hortung dem Umlauf beziehungsweise dem Leistungsaustausch entzogene Geld über Kreditvergabe oder Investition wieder dem Umlauf zuzuführen, verlangt er einen Zins, welcher wiederum aus der Gesamtsubstanz bezahlt werden muss und zu einem Vermögensfluss zum Sparer und Anleger führt. So wird Vermögen von Schuldner zum Gläubiger und von Arm zu Reich umverteilt. Durch den Zins werden die Ärmeren zu Gunsten der Vermögenden schleichend, aber stetig zunehmend zwangsenteignet und übervorteilt, weil sie stets mehr zurückgeben als sie erhalten haben.

Das durch den Kapitalismus abgeschaffte Zinsverbot hat auch heute noch durchwegs seine sowohl ethische als auch mathematische Rechtfertigung. Wer den Zins mit Argumenten bezüglich Risikoabgeltung oder mit Opportunitätskosten zu verteidigen versucht, hat die Mathematik nicht verstanden. Ein systematischer Ausgleichsmechanismus, um Reichtum auch von Reich nach Arm umzuverteilen, fehlt hingegen in unserem System. Deshalb sind die Armen auf das Wohlwollen und die Almosen der Reichen angewiesen. Almosen sind jedoch für jeden entwürdigend, der auf sie angewiesen ist. Diese systembedingte Vermögenszwangsverschiebung hat über die Jahre zu einem krassen Ungleichgewicht bei der Vermögensverteilung geführt und sollte so nicht sein. Deshalb brauchen wir einen „New Deal„, um die Vermögen wieder gerecht zu verteilen!

Alternativ
Vermögensverteilung in Deutschland 2002 und 2007 (Grossbild)
(Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung; SOEP; Berechnungen des DIW Berlin)

Geld entsteht also als Kredit, d.h. als Schuld, sowohl in der primären Geldschöpfung durch Kreditvergabe der Zentralbank an die Geschäftsbanken als auch in der sekundären Geldschöpfung durch die mit nur partiellen Reserven aus der primären Geldschöpfung gedeckte Kreditvergabe von Giral- bzw. Buchgeld der Geschäftsbanken an die Unternehmen, die Privathaushalte und die öffentliche Hand. Jeder Kredit wird in der Regel gemäss den Grundsätzen des Banken- und Kreditwesens mit einer immer etwas wertvolleren, realen Sicherheit gedeckt, welche verwertet wird, sobald der Schuldner seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Der Kredit und der dafür vereinbarte Zins sind ein Leistungsversprechen des Schuldners. Damit er dieses einlösen kann, muss er arbeiten, ausser er erhält genug Zinsen aus Krediten, die er seiner Bank in Form von Spareinlagen gegeben hat, oder er macht Gewinne mit Spekulationsgeschäften oder sonstigen Anlagen. Das Geld, das der Schuldner für seinen Kredit erhält, speist er durch Konsum oder Investition in Realgüter wieder in den Geldkreislauf (d.h. in die Umlaufmenge) zurück. Für seine Arbeit erhält er Geld, mit dem er seine Schulden tilgen und sein Leistungsversprechen einlösen kann. Doch mit dem Zins bezahlt er (zumindest nominal) immer mehr zurück, als er bekommen hat, und genau dieses Geld fehlt nun in der Umlaufmenge für den Leistungsaustausch der „Wirtschaftssubjekte“ und muss durch zusätzliche Neuverschuldung zwecks Geldschöpfung ausgeglichen werden.

Schulden soll man zurückzahlen. Doch genau daran hat eigentlich kaum jemand ein Interesse. Denn wird ein Kredit zurückbezahlt, wird dadurch das durch diesen Kredit geschaffene Geld vernichtet, d.h. die Gesamtgeldmenge schrumpft und damit sowohl das der Wirtschaft für den Tausch von Leistungen zur Verfügung stehende Geld als auch das zur Tilgung der Schulden und Zinsen benötigte Geld. Würde man alle Kredite für das geschöpfte Geld zurückzahlen wollen, wäre dies gar nicht möglich, denn es wäre nicht genügend Geld vorhanden, um auch die Zinsschulden zu begleichen.

Der Sparer und Anleger erwartet einen Zins für sein angelegtes Geld. Deshalb muss dieses wieder als Kredit auf dem Finanzmarkt „arbeiten gehen“ und Zinsen generieren. Und für dieses Geld muss irgendjemand arbeiten.


Alexander von Eich lässt sein Geld arbeiten

So entsteht eine Teufelsspirale, die sich durch ihren eigenen Wachstum beschleunigt, und der stetig steigende Geldbedarf führt zu immer grösseren Lücken, durch die das Schneeballsystem zu kollabieren droht. Zur Kompensation der Geldlücke beziehungsweise Schuldenlücke, die durch den Zins entsteht, muss sich wieder jemand verschulden. Wenn weder die privaten Haushalte noch die Unternehmen (einschliesslich der Banken) genug kreditfähig und kreditwürdig sind, springt der Staat in die Bresche und überbrückt durch Verschuldung die Lücke zwischen der nominal exponentiell wachsenden Finanzwirtschaft und der wachstumslimitierten Realwirtschaft. Mit diesem Schuldgeld werden Investitionen in die öffentliche Infrastruktur zur Konjunkturstützung finanziert oder Banken vor dem Bankrott gerettet. Der Staat bezahlt dann mit den Steuereinnahmen die Zinsen für seine Obligationen, die zu den Kreditgebern d.h. den Inhabern der Staatsschuldscheine fliessen und diese auf Kosten aller Steuerzahler reicher machen. Solange der Glaube an die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit von Staaten aufrecht erhalten werden kann, funktioniert dieses System scheinbar sehr gut und ist für „Anleger“ eine zumindest kurzfristig äusserst attraktive Anlageform, um sich bei kurzfristig geringen Risiken auf Kosten aller Steuerzahler zu bereichern.

Soweit die Grundlagen in Kurzform, für deren Verständnis auch eine einfache Grundschulbildung ausreichen sollte. Eigentlich sollte jedem klar sein, dass unser Finanz- und Wirtschaftssystem ein Schneeballsystem ist, das im Prinzip gleich wie ein Schenkkreis funktioniert und diejenigen an der Spitze der Pyramide auf Kosten der breiten Basis bereichert. Die Letzten beissen die Hunde.

Exponentielles Wirtschaftswachstum

Wirtschaftswachstum ist in einer Welt mit begrenzten Ressourcen nur in begrenztem Masse möglich, was in der Naturwissenschaft u.a. mit dem Energieerhaltungssatz durchaus bekannt ist. Reales, natürliches Wachstum folgt der logistischen Kurve (auch als S-Kurve bekannt) und kann mit der Volterra-Formel beschrieben werden, die vielen Marketingexperten und Populationsforschern bekannt sein dürfte. Die Finanzwirtschaft verlangt aber ein Wirtschaftswachstum, das der Exponentialfunktion (Zinseszinskurve) folgt, damit die Realwirtschaft mit dem durch den Zins erzwungenen exponentiellen Wachstum der Geldmenge der Finanzwirtschaft mithalten kann. Beide Kurven sind zu Beginn nahezu deckungsgleich, divergieren aber im späteren Verlauf immer mehr und schliesslich unendlich. Die „Bereinigung“ zwischen dem nominal exponentiellen Wachstum der Geldmenge und dem logistischen und somit begrenzten Wachstum der Realwirtschaft wird im Volksmund irrtümlich (weil nur aus Sicht der Geldmenge) als „Inflation“ (deutsch: „Aufblähung“) bezeichnet. In Wahrheit handelt es sich dabei um eine Geldentwertung, um das Verhältnis von Geldmenge und Menge der Realgüter wieder ins Lot zu bringen, womit aber die Wertaufbewahrung (als Funktionsziel des Geldes) in Frage gestellt wird.

Trotz dieses „Bereinigungs-Mechanismus“ ist und bleibt das System ein Schneeballsystem mit allen dazugehörigen pathologischen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Diese können eine Weile lang durch Staatsverschuldung kompensiert und gemildert werden. Aber diese Massnahme hat lediglich eine aufschiebende Wirkung und stösst zwangsläufig schnell einmal an ihre Grenzen, was wir gerade beim Dollar und Euro erleben. Im Euroraum kommt erschwerend hinzu, dass die Mitgliedstaaten mit ihrer unterschiedlichen Fiskalpolitik unmöglich eine gemeinsame Geldpolitik betreiben können. Der Euro ist daher sogar noch mehr als der Dollar ein Fehlkonstrukt.

Wachstum in der Finanzwirtschaft und Realwirtschaft
Wachstum in der Finanzwirtschaft und Realwirtschaft

In einer Wohlstandsgesellschaft ist Wirtschaftswachstum nur im gleichen Mass nötig, in dem eine Population wächst. In vielen Entwicklungsländern wäre dies dringend nötig. Nur findet ausgerechnet dort kein Wachstum statt, weil wir in der ersten Welt deren natürlichen Ressourcen ausbeuten, zugleich die Gewinne abschöpfen und die eh schon armen Staaten in die Zins- und Schuldenknechtschaft treiben, aus der sie zu entkommen wegen der ihnen aufgezwungenen, unfairen Währungswechselkurse ohnehin keine Chance haben. Wirtschaftswachstum ist keine systemimmanente Eigenschaft einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung sondern eine solche des zinspflichtigen Schuldgeldsystems (zumindest nominal).

In diesem Zusammenhang wird die Rolle des Produktivitätsfortschritts für das Wirtschaftswachstum durch technischen Fortschritt (Innovation) generell überbewertet. Reale Wertschöpfung und reales Wirtschaftswachstum können nur durch Arbeit erzeugt werden. Diese Arbeit nehmen uns heute zu einem sehr grossen Teil Maschinen ab, die mit ungeheuer viel Energie (vornehmlich aus Erdöl) betrieben werden – früher waren es die Nutztiere, die Pflüge und Karren zogen, und Wind- und Wasserkraft, die Mühlen antrieben. Nur die Innovationen zur Erhöhung der Produktivität (der Maschinen) bringen Wirtschaftswachstum und nur Dank der Erschliessung und Nutzung von Energie aus fossilen Brennstoffen, Wind- und Wasserkraft und Atomenergie konnten wir seit der Industrialisierung das exponentielle Wirtschaftswachstum so ungewöhnlich lange aufrecht erhalten. Aber nun stossen wir damit mittlerweile an die endgültigen natürlichen Grenzen.

In gesättigten Märkten ist Wachstum gesamthaft gar nicht möglich. Hier gibt es lediglich Wachstum für einzelne Unternehmen durch eine Umverteilung auf Kosten anderer Unternehmen d.h. durch Verdrängung und Kanibalisierung. Immer wenn ich die Forderung nach mehr Wachstum höre, stelle ich daher automatisch die folgenden drei Fragen:

  • Warum und wozu braucht es dieses Wachstum?
  • Wohin will man wachsen? Wann ist genug?
  • Aus welcher Substanz soll dieses Wachstum kommen? Wo ist diese vorhanden?

Und noch nie konnte mit irgendjemand eine befriedigende Antwort auf diese Fragen geben. Trotzdem halten die meisten immer noch an der Utopie vom unendlichen Wirtschaftswachstum fest.

Unsere beschränkte, lineare Wahrnehmungsfähigkeit

Die Ursache, weshalb die meisten Menschen die unserem Finanz- und Wirtschaftssystem zugrunde liegende Mathematik nicht verstehen, liegt darin, dass wir eine lineare Wahrnehmung von der Welt haben. Wir approximieren und interpolieren komplexere Funktionen (wie z.B. die Exponentialfunktion) linear, um sie für uns scheinbar verständlich zu machen. Wenn sich diese komplexen Funktionen aber auch noch zeitlich überlappen, sind wir mit unserer Wahrnehmung gänzlich überfordert. Die Lücke zwischen der Mathematik der Realität und unserer beschränkten Wahrnehmungsfähigkeit versuchen wir ideologisch zu schliessen. Sämtliche populären Wirtschaftstheorien sind ideologisch begründet. Sie basieren alle auf Modellen von Anreizsystemen und Annahmen zu deren Auswirkungen anstatt auf mathematischen Modellen. Mathematische Modelle existieren nur für Teilaspekte zu den Mechanismen der Geldumverteilung, die teilweise sogar sehr komplex ausgestaltet sind (wie z.B. Volatilitätsflächen im Börsenhandel). Die heutige Ökonomie ist folglich keine exakte Wissenschaft sondern vielmehr eine Religion. Das zeigt sich besonders auch daran, dass der Wert des Geldes erst durch den Glauben an diesen Wert entsteht. Wenn dieser Wertekonsens dahin fällt, kollabiert das gesamte Wirtschaftssystem.

Wenn wir vom Zins sprechen, dürfen uns nicht davon verwirren lassen, dass dieser Begriff besonders in der deutschen Sprache für verschiedene Dinge gebraucht wird. Der Kapital- und Schuldzins ist nicht zu verwechseln mit dem Miet- oder Pachtzins! Während Zinsen auf Anlage-/Sparkapitalien und Schulden (Kapitalzinsen) eine Gebühr für etwas sind, das seinen Wert nicht durch einen realen Wert sondern zunächst nur per Definition und erst später durch die Einlösung des Leistungsversprechens erhält, sind Mietzinsen der Preis für eine Leistung mit einem realen, materiellen Nutzwert. Mit dieser Unterscheidung tun wir uns allerdings sehr schwer, weil wir unser virtuellwertiges Geld als realen Wert betrachten. Obwohl ein Geldschein nur ein buntes Stück Papier ist, auf dem eine Zahl aufgedruckt ist, ist dieser Wert für uns real ebenso wie die Zahl, die zu unseren Bankkonto elektronisch in einer Datenbank gespeichert ist. Wir leiden offensichtlich an ernsthaften Wahrnehmungsstörungen.

Unsere Umwelt nehmen wir über erlernte Muster und Assoziationen wahr. Wenn uns Erkennungsmuster fehlen, können wir etwas nicht erkennen, obwohl wir es sehen und es uns irgendwie sogar vertraut vorkommen mag. Wenn wir zu jemandem den folgenden deutschen Satz sprechen, wird er ihn zunächst überhaupt nicht verstehen, obwohl er ihn durchaus als deutschen Satz erkennt: „Mähen Äbte Klee? Äbte mähen nie Klee. Äbte beten.“ Unser Unvermögen, den Satz zu verstehen, beruht darauf, dass wir die drei Begriffe Äbte, Klee und Mähen noch nie in einem gemeinsamen Kontext gehört haben und auch keinen solchen erwarten. Deshalb haben wir dafür kein Erkennungsmuster bereit. Ebenso ergeht es jemandem, der das erste Mal die mathematischen Fakten zu den Konstruktionsfehlern unseres Finanz- und Wirtschaftssystems hört. Obschon ihm die einzelnen Elemente nicht fremd zu sein scheinen, kann er sich aus ihnen im Zusammenhang kein verständliches Bild machen. Das entsprechende Erkennungsmuster fehlt uns, weil es in keinem Lehrbuch steht, das an unseren Schulen im Unterricht zum Einsatz kommt.

Die Gier als Treiber des Wettgeschäfts der Finanzmärkte

Ein weiterer Faktor ist die Gier, welche als pathologische Ausprägung eines ursprünglich natürlichen Sicherheitsbedürfnisses verstanden werden kann. Wirtschaftsspekulanten haben diese auch als Todsünde eingestufte Geisteskrankheit mit ihrem Spieltrieb gepaart und sind daran süchtig geworden. Das lässt sich unschwer daran erkennen, dass das Volumen des Derivatmarktes, welches ein reines Wettgeschäft darstellt, bereits das Mehrfache des Handelsvolumen der Basiswerte ausmacht. Auch im Devisenhandel werden in den Ländern der „ersten Welt“ täglich Volumina in der mehrfachen Höhe des eigenen Staatshaushaltsbudgets (eines Jahres, wohlgemerkt) umgesetzt.

Die Bezeichnung „Handel mit Risiken“ ist ein Euphemismus und soll verschleiern, dass es sich in Wahrheit um hochspekulative Wettgeschäfte handelt. Im Zuge der Deregulierung der Finanzmärkte wurden unter dem Titel „Finanzinnovationen“ noch undurchsichtigere „Finanzprodukte“ kreiert wie „Contracts For Difference (CFD)“, „Credit Default Swaps (CDS)“ oder „Barrier Reverse Convertibles“ und „Collateralized­ Debt Obligations (CDO)“ als Vertreter der „Strukturierten Produkte“, die oft nicht einmal ihre Erfinder richtig verstehen und einschätzen können. Deshalb ist es auch nicht erstaunlich, dass die sich anbahnende Krise nicht rechtzeitig erkannt werden konnte. Mit diesen Finanzderivaten wurde deren wahre Natur gezielt verschleiert und eine noch nie da gewesene Finanzblase generiert, welche die bereits dazumal grosse Lücke zwischen der nominalen Geldmenge und den realen Werten (d.h. die Differenz zwischen der Exponentialkurve und der logistischen Kurve) eine ganze Weile durch ein rein virtuelles Wirtschaftswachstum zu kaschieren vermochte.

Das Platzen dieser Blase wird fälschlicherweise gerne als der Auslöser der Finanz- und Wirtschaftskrise gesehen, wodurch die grundlegenden Systemfehler verkannt und weiterhin ausgeblendet werden. Diese Blase wurde durch die Gier geschaffen und hat das Problem lediglich verschärft. Sie ist nicht deren eigentliche Ursache!


Wilfried Schmickler über Wachstum durch Gier

Die Gier ist es denn auch, die uns „Investition“ immer mit „Profit“ assoziieren lässt, obschon Profit ursprünglich weder Voraussetzung noch Zweck einer Investition d.h. einer Anlage war. Wenn sich Menschen vor über tausend Jahren Vorräte für schlechtere Zeiten angelegt haben, haben sie nicht erwartet, dass sich diese Anlagen von selbst vermehren. Und für das Verlustrisiko haben sie auch keinen Ausgleich durch einen Zins gefordert. Das Problem ist unsere Erwartungshaltung, die wir bereits durch unsere Schulbücher aufoktruiert bekommen haben, weil wesentliche Elemente systematisch über viele Jahrzehnte hinweg ausgeblendet wurden. Wir bewerten fast alles nur noch nach seiner ökonomischen Utilität und glauben, dass etwas nur einen Wert hat, wenn dieser mit Geld gemessen werden kann. Dabei ist Wertschöpfung gar nicht zwangsläufig mit wirtschaftlichem Gewinn verbunden, weil es auch Werte gibt, die nicht monetär quantifizierbar sind, d.h. nicht in Geld gemessen werden können. Und gerade dies sind die Werte, welche durch den Wertekonsens die Grundlage und den sozialen Leim einer jeden Zivilisation ausmachen.

Wahrnehmungsstörungen korrigieren

Geld ist ein Mittel zum Austausch von Leistungen und damit auch Mittel zur Verteilung von Wohlstand und Reichtum. „Jemandem mit einem Kredit helfen“ tönt auf den ersten Blick ganz positiv und sozial, erweist sich aber sehr oft als das Gegenteil, weil sich der „Helfer“ seinen Dienst meist mit einem Zins bezahlen lässt (siehe z.B. Euro-Rettungsschirm). Dieser ist umso höher, je höher der Kreditgeber das Ausfallrisiko bewertet. So werden Risiken über den Zins monetarisiert und dies offenbart den spekulativen, gewinnorientierten Charakter des Zinses.

Da Geld durch Verschuldung geschaffen wird, ist Geld gleichwertig mit Schuld. Ebenso verhält es sich mit dem Zins. Wenn wir in allen unseren Texten die Begriffe „Geld“ und „Zins“ durch das Wort „Schuld“ ersetzen, wird uns die Tragweite der pathologischen Konsequenzen unseres zinspflichtigen Schuldgeldsystems bewusst.

Ideologische Verblendung und das langsame Erwachen

Mensch im HamsterradDie Weltwirtschaft befindet sich in einer Paradigma-Paralyse. Die ideologische Verblendung, welche zu einer generationsübergreifenden, kollektiven Gehirnwäsche geführt hat, hindert uns, die Probleme zu erkennen. Entsprechend tun wir uns schwer, die richtigen Lösungen zu finden, und begnügen uns mit meist zynischen Schuldzuweisungen. Auch ein Karl Marx hat das System nicht in seiner ganzen Wahrheit begriffen und entsprechend auf falschen Schlussfolgerungen beruhende falsche Lösungen vorgeschlagen. Angesichts der oben aufgeführten Erkenntnisse ist es für mich nicht verwunderlich, dass nun immer mehr Menschen auf die Strassen gehen, weil sie aufgrund ihres zunehmenden Leidensdrucks beginnen, aus ihrer lethargischen Verblendung zu erwachen.

Mittlerweile begreift auch Otto Normalverbraucher immer mehr, dass er von einer kleinen Finanzelite ausgenutzt und betrogen wird, und fängt nun an, dagegen aufzubegehren und seinem Unmut in aller Öffentlichkeit Ausdruck zu verleihen. Die allerwenigsten können die Ursachen der Probleme klar artikulieren, aber angesichts der aktuellen Ereignisse braucht man auch nicht einmal besonders intelligent zu sein, um zu sehen, dass es ganz mächtig stinkt in unserem System. Mit dem Arabischen Frühling, den Massendemonstrationen in Spanien, Israel und Griechenland und der daraus entstandenen, weltweiten „Occupy-Bewegung“ erleben wir einen Umbruch in der globalen Wirtschaft und Gesellschaft, dem ich trotz aller Chancen und Hoffnungen mit grosser Besorgnis entgegensehe. Da wird auch ein noch so grosser „Euro-Rettungsschirm“ nichts nützen, um die Massen zu beruhigen und das Schneeballsystem weiter am Laufen zu erhalten.

Anforderungen an ein bedarfsgerecht skalierbares, gerechtes und funktionsfähiges System

Für jedes Problem gibt es eine Lösung. Folglich muss es auch für unser krankes Geldsystem eine Lösung geben. Diese kann mit einem systematischen, methodischen Ansatz gefunden werden. Der Problemlösungsprozess sieht dabei wie folgt aus:

  1. Ausgangslage analysieren.
  2. Probleme identifizieren und deren Ursachen und Kausalzusammenhänge ergründen.
  3. Ziele definieren.
  4. Rahmenbedingungen eruieren.
  5. Aus Zielen und Rahmenbedingungen konkrete Anforderungen ableiten und diese widerspruchsfrei und klar ausformulieren.
  6. In Anwendung der Grundsätze des Systemdesigns Lösungsalternativen erarbeiten und bewerten.
  7. Durch mehrere Iterationen, d.h. die Wiederholung der Schritte 1 bis 5, die Ergebnisse verbessern und verfeinern, bis eine realisierbare Lösung gefunden ist.
  8. Die Umsetzung in überschaubaren und handhabbaren Teilschritten unter Minimierung der Risiken planen.

Ziele eines funktionsfähigen und ethischen Gelds- und Wirtschaftssystems:

  1. Geld ist nicht Zweck sondern Mittel. Das Geld/Kapital muss den Menschen und nicht der Mensch dem Geld/Kapital dienen. Geld ist wie ein „Grundnahrungsmittel“ für die Wirtschaft und ein Element der öffentlichen Infrastruktur wie das Wasser, auf das jeder zum Leben angewiesen ist. Jedem wird die Teilhabe daran gewährt und der Zugang zu fairen Konditionen ermöglicht.
  2. Die Geldmenge muss den Bedürfnissen der Marktwirtschaft zum Austausch von Leistungen jederzeit angepasst werden können, d.h. sie muss in beide Richtungen skalierbar sein. Wenn möglich soll es einen automatischen Ausgleichs- und Regelmechanismus geben, der nicht manipuliert werden kann.
  3. Das Geldsystem muss gerecht sein. D.h. es darf nicht zu einer Benachteiligung, Übervorteilung oder Ausbeutung von einzelnen durch andere führen und zugleich soll es Leistung angemessen honorieren.

Folgende Grundsätze und Naturgesetze sind dabei als Rahmenbedingungen zu berücksichtigen:

  • Ein korrekt funktionierendes Gesamtsystem besteht immer aus Teilsystemen, die ebenfalls korrekt funktionieren.
  • Es kann nur etwas ethisch korrekt sein, wenn es auch mathematisch korrekt und widerspruchsfrei ist. Dies ist eine zwingende, aber nicht hinreichende Voraussetzung.
  • Funktionsfähige soziale und technische Systeme funktionieren nach den gleichen Grundmustern.
  • Der Energieerhaltungssatz gilt auch für die Wirtschaft.

Aus den Analyseergebnissen der Probleme und ihrer Ursachen sowie den allgemein anerkannten Grundsätzen der Ethik und des Systemdesigns habe ich somit folgende Anforderungen abgeleitet:

  1. Geld darf nicht durch Verschuldung entstehen sondern wird allein durch Leistung generiert.
  2. Der Zins ist die Inzucht des Geldes. Für Kredite und Guthaben dürfen keine Zinsen verlangt werden.
  3. Allgemeingüter (wie Wasser, Luft und Boden) sind Eigentum der Allgemeinheit und dürfen daher nicht privatisiert werden, sondern müssen von der Allgemeinheit zum Wohle aller gerecht verwaltet werden. Jeder Bürger einer Gemeinschaft hat die gleichen Teilhabensrechte an diesen Gütern. Die Zuteilung zur Nutzung erfolgt nach für alle gleichen und fairen Kriterien. Für die über den normalen Eigenbedarf hinausgehende Nutzung ist vom Nutzer eine angemessene Nutzungsgebühr an die Allgemeinheit/Gemeinschaft zu entrichten.
  4. Gewerbliche Wettgeschäfte, der Handel mit Risiken und Spekulationsgeschäfte mit Rohstoffen sind verboten. Generell sollen alle Mechanismen, die zu spekulativen Blasen führen oder verleiten können, durch Verbote oder Kompensationsmechanismen entschärft werden.

Auf diesen Anforderungen aufbauend, werde ich mich in der kommenden Beitragsreihe mit dem Titel „Das bessere Geld- und Wirtschaftssystem“ mit einem Lösungskonzept jenseits von Kapitalismus und Kommunismus befassen. Die sich daraus ergebenden Lösungsansätze sind radikal, denn die Lösung verlangt einen radikalen Wandel, der eine Geld-, Steuer- und Bodenreform sowie ein stark reduziertes Immaterialgüterrecht zugleich beinhaltet. Ich denke allerdings nicht, dass unsere Gesellschaft bereits jetzt schon reif genug dafür ist. Der allgemeine Leidensdruck ist dazu bei uns immer noch viel zu klein. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis er gross genug ist.

Nachwort

Manche Leser mögen sich fragen, was meine Motivation zur Verfassung einer solchen Beitragsreihe gewesen sein mag und ob ich denn überhaupt über die nötige Qualifikation verfüge. Dazu möchte ich kurz Stellung nehmen.

Die Frage nach dem Warum habe ich mir selber gar nie gestellt. Diese wurde mir jedoch immer wieder von anderen gestellt, weshalb sie an dieser Stelle gerne beantworte. Als Open Source Anhänger und Verfechter des Wissens als Allgemeingut, das allen Menschen zugänglich sein sollte, wollte ich meinen Teil dazu beitragen, nachdem ich in den Lehrbüchern grosse Lücken festgestellt hatte. Warum entwickeln einzelne Leute Software, die sie dann kostenlos an andere verteilen? Weil sie es können und die anderen daran teilhaben lassen wollen. Nicht, weil sie ihrem Bild von einem Gutmenschen nacheifern, sondern weil sie sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind, die sie auf Grund ihrer besonderen Fähigkeiten auf einem bestimmten Gebiet haben. Es ist wie im Gleichnis von den anvertrauten Talenten. Wer mehr bekommen hat als die anderen, ist angehalten, entsprechend mehr daraus zu machen und auch einen entsprechend grösseren Teil davon wieder an die Gesellschaft zurückzugeben, welche ihm die Erlangung dieser Fähigkeiten und des Reichtums an Wissen erst ermöglicht hat.

Nach meinem Ingenieurstudium in Informatik habe ich ein Nachdiplomstudium in Betriebswirtschaft und Unternehmensführung absolviert. Zudem bin ich unter anderem auch Systemanalytiker mit langjähriger Erfahrung und es gewohnt, komplexe Sachverhalte in kürzester Zeit umfassend und systematisch zu analysieren, wobei ich bereits um Klassen komplexere IT-Systeme als unser Finanz- und Wirtschaftssystem analysiert habe. Auch war ich in den vergangenen 20 Jahren an der Entwicklung verschiedener Bankensoftware (Kreditwesen, Zahlungsverkehr und Wertschriftenhandel) beteiligt und kenne die Regeln der Geldumverteilung sehr genau ebenso wie die Geisteshaltung in dieser Branche.

Der Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 auch bei uns hatte meine intellektuelle Neugierde geweckt, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine solche Krise aus heiterem Himmel kommt. Mir kam das so vor wie die vielen Leute, die jedes Jahr immer wieder von Weihnachten überrascht werden. Ich wollte die Hintergründe kennenlernen und machte mich auf eine lange und intensive Entdeckungsreise in eine Welt, die mir völlig neu und fremd erschien, obwohl sie mir eigentlich schon viele Jahre vertraut war. Nur begann ich diese Welt mit anderen Augen zu sehen und mich von meiner bisherigen Gehirnwäsche zu befreien.

Viele meiner Erkenntnisse meiner Systemanalyse sind aber keineswegs neu. Ich habe mir allerdings die Mühe gemacht, alles zu einer ganzheitlichen Analyse zusammenzufassen, d.h. ein Gesamtbild aus den irgendwo bereits vorhandenen Puzzleteilen zu machen, und dieses mit weiteren, eigenen Erkenntnissen anzureichern. Hierzu war es äusserst hilfreich, den Geldfluss als Datenfluss in einem Informationssystem zu betrachten und entsprechende Analysen und Berechnungen zu in der Informatik wohl bekannten Kennzahlen anzustellen. In den folgenden Monaten werde ich, soweit es mir meine Zeit zulässt, an der Weiterentwicklung und Detaillierung der oben genannten Lösungen arbeiten. Ich hoffe, diese noch vor dem grossen Kollaps veröffentlichen zu können.