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Ignoranz als (a)soziales Verhaltensmuster

Vogel StraussWar die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise bloss ein böser Traum? Ist er schon vorbei oder stehen wir erst am Anfang einer noch viel grösseren Krise? Die „Experten“ sind sich nicht einig. Doch obwohl es auch optimistische Stimmen und Prognosen gibt, mag irgendwie kaum jemand so richtig daran glauben, dass der Spuk schon vorbei ist, und weil die Botschaft von einer allgemeinen Entwarnung ausbleibt, hegen immer mehr Menschen immer pessimistischere Befürchtungen. Explodierende Staatsverschuldung und Staatshaushaltskrisen, Arbeitslosenquoten über zehn Prozent, Euro- und Dollar-Krise, Börsenrallys und Erdölkatastrophen: Regierungen und Wirtschaft sind offensichtlich nicht in der Lage und auch nicht Willens, grosse Probleme zu lösen und konzentrieren sich daher lieber auf medienwirksame Inszenierungen von irrelevanten Themen, um von ihrer Unfähigkeit abzulenken.

3 monkeysDie politische und wirtschaftliche Situation erinnert mich an jene in Projekten, die aus dem Ruder laufen, weil sie mit unrealistischen Erwartungshaltungen und die Komplexität unterschätzend völlig falsch aufgegleist wurden, Konzepte mangelhaft sind oder gänzlich fehlen, das Vorgehen auch mangels Methodikkenntnissen nicht definiert ist und entsprechend auch keine Planung existiert, die Führung alles andere tut als zu führen und niemand den Mut hat, Farbe zu bekennen, die Missstände und ihre Ursachen beim Namen zu nennen und konstruktiv an Lösungen zu arbeiten. Keiner wagt es, sich mit schlechten Nachrichten zu exponieren und den Zorn von Führer und Volk auf sich zu ziehen. Jeder mimt den fleissigen Mitarbeiter, der seine ganze Energie und all seine Fähigkeiten für den Erfolg des Projektes einsetzt. Überstunden für Leerläufe gehören zum guten Ton. Grundsatzfragen dürfen jedoch nicht diskutiert werden, denn jede Grundsatzänderung käme einem Eingeständnis von Fehlern gleich, würde das bisherige Versagen transparent machen und würde unbequeme Massnahmen erfordern und auslösen. Versagen ist keine Option und ein Projektstatus „Rot“ gefährdet die Boni. Folglich wird auf allen Führungsstufen die Durchhalteparole bis zum bittere Ende gepredigt und dieses kommt zwangsläufig spätestens am Tag der Abrechnung, wenn die Resultate fällig werden.

Das Verhaltensmuster der Ignoranz wiederholt sich überall. Auch in der Finanz- und Wirtschaftskrise ist der Tag des jüngsten Gerichts nicht mehr weit. Irgendwann sind die Schulden fällig, aber dann wird trotz oder gerade wegen der exzessiven, verzinsten Geldschöpfung, die erst zu dieser exponentiellen Verschuldung geführt hat, nicht genügend Geld vorhanden sein, um die Schulden zu tilgen. Dann kollabiert das Schneeballsystem [1]. Dagegen hilft auch kein Hedging von Risiken. Das gehört mit zum „Spiel“, auch wenn es nicht explizit in den Spielregeln geschrieben steht. Eine Änderung der Spielregeln scheint jedoch tabu zu sein. Wer eine solche fordert, wird als realitätsfremd diffamiert und mundtot gemacht. Damit ist der Untergang unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems vorprogrammiert und zum Vorne herein besiegelt.

Das heisst aber nicht, dass damit auch gleich die ganze Welt untergeht. Das Alte muss weichen, damit Neues entstehen kann. Und wie bereiten wir uns darauf vor? Im Moment (noch) gar nicht. Wir ignorieren die Missstände, bis wir selber unter ihnen leiden müssen, und die, die heute bereits leiden, haben nicht die Macht, die Spielregeln zu ändern. Ignoranz auf allen Ebenen, wohin das Auge reicht. Wir Menschen scheinen als Gesellschaft nicht in der Lage zu sein, aus unseren Fehlern zu lernen, weil wir uns keine Fehler eingestehen wollen. Wir kultivieren unsere Ignoranz und hoffen, dass andere den Preis dafür bezahlen. Auf dieser Basis ist die Chance klein, dass das Neue besser wird als das weichende Alte.

Update vom 16.07.2010

Robert Prechter, einer der erfolgreichsten „Schwarzmaler“, prophezeit [2] den endgültigen Zusammenbruch des Finanzsystems für 2016. Ab 2012 soll’s kontinuierlich abwärts gehen mit zwischenzeitlichen Ausschlägen in beide Richtungen. Mal schauen, was uns die nahe Zukunft bringt …