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Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig

JustitiaDas Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat entschieden [1] und heute die Vorratsdatenspeicherung mit äusserst klaren Worten für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt [2]. Die Massenspeicherung von Telekommunikationsdaten ohne Grund, d.h. ohne einen dringenden Verdacht oder einen konkreten Hinweis auf eine Straftat, ist unverhältnismässig und unvereinbar mit dem Telekommunikationsgeheimnis. Zudem ist die Sicherheit der Daten nicht gewährleistet und deren Verwendung nicht klar definiert.

Damit haben die deutschen Verfassungsrichter den Rechtsstaat ein Stück weit wiederhergestellt. Das ist gut so und es war auch dringend nötig, der Datensammelwut überwachungswütiger „Staatsschützer“ Einhalt zu gebieten. Ein Staat der private Unternehmen dafür rügt, die Privatsphäre der Bürger zu verletzen, weil sie deren Gewohnheiten bespitzeln, von ihnen persönliche Profile für die Werbewirtschaft erstellen und sie mit Diensten wie Google Street-View in der Öffentlichkeit blossstellen, darf nicht selber zur Datenkrake werden. Das Urteil aus Karlsruhe entspricht vollumfänglich meinen Erwartungen und wurde in der Presse und in breiten Teilen der Bevölkerung mit Genugtuung und Erleichterung aufgenommen. Es wird (hoffentlich) auch für andere Staaten in Europa Signalwirkung haben.

Der Aufstand der rund 35’000 Kläger gegen die staatliche Willkür hat sich gelohnt. Der wohl grösste Massenklage-Prozess in der Geschichte Deutschlands hat aber auch gezeigt, wie schwierig und aufwendig es ist, die Irrungen fehlgeleiteter Legislativpolitiker zu korrigieren. Mein Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit wurde heute jedenfalls wieder ein Stück weit gestärkt. Es sind eben doch nicht alle Juristen einfach nur opportunistische Winkeladvokaten, Scheidungsblutsauger und Abmahntalibane, sondern es gibt immer noch genügend, denen das Recht am Herzen liegt. Ihnen allen spreche ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aus!


Urteil zur Vorratsdatenspeicherung (Tagesschau vom 02.03.2010)

Die Provider müssen die bisher gespeicherten Daten zunächst einmal umgehend löschen, sofern diese nicht für die Abwicklung ihrer eigenen Geschäftstätigkeit (z.B. für die Rechnungsstellung) notwendig sind. Doch mit dem Urteil von heute ist die Vorratsdatenspeicherung leider noch lange nicht vom Tisch und IP-Adressen dürfen dem Urteil zufolge auch künftig ohne einen Richterbeschluss herausgegeben werden,  sofern ein „hinreichender Anfangsverdacht“ und eine „konkrete Gefahr“ vorliegen. Dem Gesetzgeber wurden aber klare Leitplanken für die Erarbeitung eines neuen Gesetzes gesetzt, innerhalb deren eine Speicherung der Kommunikationsdaten möglich wäre. Das Gericht stellt nicht die EU-Richtlinie in Frage, sondern knüpft deren Umsetzung in deutsches Recht an strenge Bedingungen.

EU-Justizkommissarin Viviane Reding befürchtet, dass die Richtlinie das Recht auf Privatsphäre unterlaufen könnte, das in der EU-Grundrechtecharta festgeschrieben ist, und möchte sie noch in diesem Jahr einer grundlegenden Überprüfung unterziehen. Österreich, Schweden und Rumänien haben die Vorratsdatenspeicherung bis heute verweigert und müssen dafür Bussgelder bezahlen. In den noch hängigen Verfahren in Irland und Ungarn könnte die grundrechtswidrige Vorratsdatenspeicherung sogar dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vorgelegt werden. Es ist demnach immer noch möglich, dass die EU-Richtlinie gänzlich gekippt wird, was sehr zu hoffen ist.