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Geld und Religion

Inhaltsverzeichnis

Das Geldsystem ist zur Religion geworden und Religionen wurden monetarisiert. Bei näherer Betrachtung haben beide viel mehr Gemeinsamkeiten als man auf den ersten Blick annehmen würde, denn Glaube und Vertrauen zählen zum Kerngeschäft der Kirchen wie auch der Banken. Der Glaube ihrer „Kunden“ an gemeinsame Werte hält beide zusammen. Doch obwohl die Werte der Kirche und der Banken grundverschieden sind, lassen sich teils erstaunliche Gemeinsamkeiten erkennen. Im Folgenden habe ich meine Erkenntisse als Nonkonformist zusammengefasst.

Religion und Geld sind Weggefährten

OpferstockDie Entstehung und die Geschichte des Geldes sind eng mit jener der Religionen verknüpft und der Zusammenhang zwischen Geld und Religion zieht sich durch bis in die Neuzeit. Bereits in der Antike wurden die Götter mit Geld als Opfergabe besänftigt. Dies setzte sich im Mittelalter im Ablasshandel fort, der als Perversion des Busssakramentes den Gläubigen bei Erfüllung bestimmter Leistungen und speziell bei Zahlung eines bestimmten Geldbetrages den Erlass von irdischen Strafen und die Verkürzung der Reinigungszeit im Fegefeuer nach dem Tod versprach („Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt“). Der Kirche bescherte der Ablasshandel einen reichen Geldsegen. Ob dies nun auf ein religiöses Missverständnis oder eine bewusste Missinterpretation zurückzuführen ist, bleibt wahrscheinlich unbeantwortet. Jedenfalls besteht das Busssakrament nicht bloss aus der Satisfactio (Genugtuung, Wiedergutmachung) sondern setzt die Reue der sündhaften Tat sowie das explizite Sündenbekenntnis voraus. Noch heute zeigt sich aber vielerorts die Vorstellung, dass mit Geld alles käuflich wäre.

Die Religion einer jeden Kultur definiert und prägt ihr Wertesystem, an dem sie alle Taten und Dinge misst, wie auch das Geldsystem die Wirtschaft prägt und die Rahmenbedingungen (zum Beispiel den Zwang zu exponentiellem Wirtschaftswachstum [1]) vorgibt. Wie die Religion hat auch Geld eine normative Funktion, das heisst eine Funktion als Wertmassstab. Bei beiden entsteht dieser über einen Wertekonsens, der sich heute bei beiden im Umbruch befindet.

Geld als Einheitsreligion

GeldWerte erhalten ihren Wert und ihre Bedeutung erst durch den Glauben an diese Werte. Auch dem Geld verleiht erst der kollektive Glaube an den Wert des Geldes seinen Status, denn ohne diesen Glauben wäre eine Geldnote nur ein Stück wertloses, buntes Papier. Im Gegensatz zur Religion ist beim Geld dieser Wertekonsens ausschliesslich opportunistischer Natur. Nur weil wir uns einen Vorteil davon erhoffen, glauben wir an den Wert des Geldes. Gerade dieser Glaube macht uns manipulierbar. Der Wert des Geldes ist folglich eine Glaubensfrage und es wird viel getan, damit dieser Glaube nicht ins Wanken gerät und um einen Bank Run zu verhindern. Oder ist es am Ende nur die blinde Gier, die uns antreibt und uns den Glauben an den Wert des Geldes verleiht?

Geld und Reichtum haben in unserer Zeit eine religiöse Dimension angenommen und für manche ist Geld bereits zum Religionsersatz geworden, auch wenn sich die meisten dessen gar nicht bewusst sind. Die Sehnsucht nach dem grossen Geld hat das Streben nach Heiligkeit abgelöst. Das Heil wird nicht mehr im Spirituellen sondern im Materiellen gesucht. Damit dennoch niemand auf Spiritualität verzichten muss, verleiht man dem Geld eine spirituelle Aura. So ist das Geldsystem zur mächtigsten Religion der Neuezeit geworden. Die Banker und Ökonomen sind ihre Priester. Würden mehr Menschen die Mechanismen und Gesetze des Geldes [1] und die ihnen zugrunde liegende Mathematik verstehen, würden sie dem Geldsystem aus Glaubens- und Gewissensgründen die Gefolgschaft kündigen und es gäbe einen von Lynchjustiz geprägten Volksaufstand.

Gott MammonDass dies nicht passiert, dafür sorgen die Medien. In immer mehr Unterhaltungssendungen dreht sich alles nur ums Geld. Das Fernsehen inszeniert und zelebriert mit Showformaten wie „Wer wird Millionär?“ oder „Deal or No Deal“, mit Abzocker-Quizs, mit DesInformationssendungen wie „SF Börse“ und auch mit der Ziehung der Lottozahlen die organisierte Massenhysterie um das liebe Geld. Brot und Spiele für die Doofen nach der Art von Hollywood! Das ist der moderne Tanz um das goldene Kalb – manche sehen darin sogar eine Art von schwarzen Messen für den Gott Mammon [2]. Solch Dekadenz ist jedoch kein Novum. Das kannten bereits die alten Römer und wussten es für ihre Zwecke zu nutzen. Nur steht heute die zur narzistischen Vergnügungssucht ausartende Unterhaltung rund ums Geld zunehmend im Mittelpunkt unseres Lebens. Es wird Zeit, dass wieder ein Moses vom Berg Sinai herabsteigt und dem Spuk ein Ende bereitet. Doch auch jetzt schon lässt die einsetzende Wirtschaftskrise das Vertrauen in die Geld-Priester schwinden.

Wie in Sachen Religion hat auch bezüglich Geld jede Zeit ihre eigene Leitkultur und bei beiden werden Leute dafür instrumentalisiert. Wir wurden in der Schule und von den Medien im Glauben erzogen, dass wir nur die Wahl zwischen Kapitalismus und Kommunismus hätten. Da der Kommunismus gescheitert ist, bleibt uns nach offizieller Lehrmeinung nur noch der Kapitalismus übrig. Wenn aber auch der Kapitalismus nicht einmal alle seine Jünger in ihren Grundbedürfnissen befriedigen kann, die Gerechtigkeits-Probleme dieser Welt nicht löst, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich nicht zu überwinden helfen vermag und nur die Umweltverschmutzung und den Raubbau an den natürlichen Ressourcen fördert, dann steigen die untoten Geister der alten Ideologien wieder aus ihren Gräbern. Denn leider genügt es auf die Dauer nicht, den Kapitalismus einfach nur ein bisschen liberal oder grün einzufärben – ebenso wenig, wie es genügt, einen Computer grün zu etikettieren. Wie man der Welt vorgaukelt, es gäbe ökologische Computer, kann man aktuell bei der „Green IT [3]“ beobachten. Es ist aber nicht alles nur eine Frage des Marketings.

Von der Religion zum Einheitsbrei

ReligionenIm Gegensatz zum Geld ist der Wertekonsens in einer Religion grundsätzlich nicht opportunistisch sondern gründet auf dem Vertrauen in eine göttliche Ordnung. In den Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam ist dies jedenfalls so. Sekten unterscheiden sich diesbezüglich von ihnen, denn ihnen allen gemeinsam ist eine diskussionslose Unterwerfung und meist auch Ausbeutung des Individuums durch eine elitäre Oberschicht. So betrachtet, könnte man unser Geld- und Wirtschaftssystem auch als die grösste Sekte der Welt bezeichnen.

An unseren Schulen in der Schweiz hat sich in den letzten Jahren „Ethik und Religion“ in den verschiedensten Formen und Ausprägungen schleichend als Schulfach im regulären Unterricht etabliert. Bemerkenswert ist dabei, dass der Begriff der Ethik der Religion in der Regel vorangestellt wird und Religion quasi im Schatten der Ethik steht. Religion wird dabei oft nur als eine spirituelle Form von Ethik verstanden. Zu meiner Schulzeit war die Welt noch einfacher. Der liebe Gott hatte seinen Platz im Himmel, die Reformierten gingen in die Sonntagsschule und die Katholiken besuchten den Religionsunterricht. Atheisten, Juden und Muslime waren damals eine zu vernachlässigende Minderheit. Die Welt von heute sieht anders aus. Oder war es damals bloss mein kindliches Gemüt, das mich die Welt so einfach erscheinen liess?

Im Kanton Zürich und auch in einigen anderen Kantonen wird heute den Kindern der Oberstufe und teilweise auch schon der Primarstufe im Schulfach „KoKoRu [4]“ ein konfessionell-kooperativer Religionsunterricht koordiniert-konfessioneller Einheitsbrei vermittelt, wobei von „Ru“ (für Religionsunterricht) wohl kaum die Rede sein kann. So heisst es denn auch im Unterrichtsplan: „KoKoRu ist ein von der Religion unabhängiger Unterricht über die verschiedenen Weltreligionen“. Das ist, wie wenn Vegetarier über Zubereitung und Verzehr von Fleisch diskutieren. KoKoRu-Inhalt sind die Weltreligionen, Kultur und ethische Themen. Der Besuch des relativ neuen Schulfachs ist obligatorisch. Allerdings besteht die Möglichkeit zur Abmeldung aus Glaubens- und Gewissensgründen quasi als Opt-out Option.

Die Bildungsdirektion des Kantons Zürich ist nun daran, den KoKoRu in ein interreligiöses Fach „Religion und Kultur“ zu überführen. Für den Unterricht in „Religion und Kultur“ dürfen nur Lehrpersonen eingesetzt werden, die an der Pädagogischen Hochschule Zürich in der Aus- oder Weiterbildung die „Unterrichtsbefähigung“ für das neue Fach erlangt haben, das heisst bereits auf eine deistisch geprägte Leitkultur [5] „eingeschworen“ und in deren Vermittlung geschult wurden. Nicht einmal eine theologische Grundausbildung scheint dafür nötig zu sein. Daher bleibt den meisten Lehrern auch verborgen, dass der Deismus im Widerspruch zum Christentum steht, und ihnen ist wohl gar nicht bewusst, wofür sie hier eigentlich instrumentalisiert werden. Sie vermitteln die Inhalte, wie sie zuvor ihnen selber vermittelt wurden, im guten Glauben – wenn auch etwas naiv, damit zu einer besseren Welt und dem Verständnis unter den Religion und Kulturen beizutragen. Doch auf der Agenda einer kleinen Gruppe von erleuchteten Humanisten steht die Etablierung einer Einheits- bzw. einer Weltreligion, die nach der Lehre des Freimaurer-Philosophen Thomas Paine [6] eine „humanistische Religion der Vernunft [7]“ sein soll und auf einem „gesunden Menschenverstand“ basiert – was immer dies auch sein mag. Diese „Einheitsreligion“ reduziert alle Religionen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bis zur Unkenntlichkeit. Würden die wahren Hintergründe öffentlich und offiziell kommuniziert, würden wahrscheinlich die meisten Eltern, denen ihre Religion noch etwas bedeutet, ihre Kinder vom Unterricht abmelden.

Uniformierung erleichtert die Lenkbarkeit

GleichschrittUniformen prägen jedes Zeitalter und sind Ausdruck des herrschenden Zeitgeistes. Herrscher liebten sie schon immer, denn uniformierte Massen lassen sich einfacher lenken als Individuen. Ob Einheitsreligion oder Einheitswährung, beide dienen unserer Uniformierung, damit wir uns einfacher und effizienter fremdbestimmen lassen. Erreichen lässt sich dies durch die Vergewaltigung des Wertekonsens, der dadurch zum Wertediktat wird. Damit wird der Grundstein für ein totalitäres System gelegt. In totalitären Weltordnung gelten Rebellen gegen das Wertediktat als Terroristen, was unter anderem seit 9/11 die Verfolgung und Eliminierung von islamistisch geprägten Aufständischen gegen die westlichen Industrienationen und ihr immer dekadenteres, vom Materialismus geprägtes Werteverständnis legitimiert. Dass allerdings die Werte der Revolutzer zu einer besseren Welt führen würden, darf stark bezweifelt werden. Weltordnung quo vadis?

Bank of EnglangHätte die ganze Welt eine einzige Währung, die durch eine einzige Zentralbank kontrolliert werden würde, läge die Macht in den Händen ein paar Weniger. Damit wäre das ganze System aber zugleich auch verwundbarer denn je, denn man bräuchte nur eine einzige Machtzentrale zu erobern, um die Weltherrschaft über das Finanzsystem und damit praktisch über den gesamtent Planeten Erde an sich zu reissen. Die Etablierung des US-Dollars als globale Leit- und Handelswährung sowie die Einführung des Euro als Europäische Einheitswährung zeugen davon. Das mag für alle, die keine Geschichtsbücher lesen, nach einer fantastischen Verschwörungstheorie klingen, hat jedoch schon seit mehreren Tausend Jahren Tradition. Werfen wir jedoch einen Blick in die Geschichtsbücher, stellen wir fest, dass bereits Cäsar, Alexander der Grosse, Dschingis Khan und Hitler die Etablierung einer zentral regierten Weltmacht (mit eigener Einheitswährung und Leitkultur) versucht haben. Doch alle sind sie daran gescheitert.

Aus gutem Grund, denn jeder System-Ingenieur weiss: ein stabiles Gesamtsystem besteht immer aus vielen einzelnen Systemen, die wiederum in sich selber stabil sind, ohne auf die anderen Teilsysteme angewiesen zu sein. Das haben die Terroristen schon lange begriffen und organiseren sich in autonomen Zellen, die zusammen eine noch grössere Zelle bilden, ohne von der Existenz und Kooperation einer der anderen Zellen abzuhängen. Ihr gemeinsames Ziel ergibt sich allein durch ihren Wertekonsens. Übrigens strukturiert sich auch der Weltkonzern Nestlé nach diesem Prinzip und der Erfolg gibt ihm Recht.

Banken und Gotteshäuser

BankJede Religion hat ihre Gotteshäuser, die meist als Wahrzeichen von weit her sichtbar in den Himmel ragen. Dort wird der gemeinsame Glaube sowohl individuell als auch in der Glaubensgemeinschaft in Ritualen zelebriert. Gemeinsam beten vereint und stärkt das Zugehörigkeitsgefühl des Einzelnen.

Nicht anders ist dies bei den Häusern, in denen der Glaube ans Geld zelebriert wird. Banken wurden schon immer den Tempeln ähnlich gebaut, denn ihre Funktion ist schliesslich eine ähnliche. Hier wird die Heilslehre in Form von Anlageempfehlungen und Kreditfinanzierungsplänen verkündet und hier bringen die Gläubiger den Zins als Opfergabe dar, um ihre Schulden beim Gott Mammon zu begleichen. Gepredigt wird hier täglich – viel mehr und öfter als in den Kirchen. Schliesslich soll niemand auch nur den geringsten Hauch eines Zweifels am Wert des Geldes haben. Im Gegensatz zu den Religionen haben die Banken ein vitales und existenzielles Interesse daran, dass ihre Kunden Schuld auf sich laden. Würden die Banken es sich wie die Religionen zur Aufgabe machen, ihre Gläubigen von Schuld zu befreien, würden sie ihre Funktion auf einen Gelddurchlauferhitzer reduzieren. Die täglichen Kollekten würden entsprechend bescheidener ausfallen.

Längst haben die Banken ihre Funktion als Liquiditätsversorger für die Wirtschaft eingebüsst. Die meisten unter ihnen sind zu Spielcasinos mutiert und versorgen die Wirtschaft mit Schulden und Risiken. „Hedging [8]“ nennt sich das Abwälzen von finanziellen Risiken auf andere Spielteilnehmer im grossen Börsenspiel in der Sprache des Geldes. Risiken werden in Form von Finanzderivaten [9] vom einen Spieler zum anderen herumgereicht, bis ein „Absicherungsnetz“ entsteht, das niemand mehr durchschauen kann. Die Herumreichung der Risiken treibt jedoch lediglich die Transaktionskosten gesamthaft in die Höhe, wobei auch das Gesamtrisiko durch die globale Verflechtung zunimmt. Der Börsenhandel gleicht mehr und mehr einem Roulettespiel, bei dem das Geld von Spieler zu Spieler fliesst und in diesem Geldfluss immer auch etwas bei der Bank hängen bleibt. Die Bank und der „Gott Mammon“ gewinnen immer – wie beim Roulette, so auch in der realen Wirtschaftswelt. Doch müssen wir dieses Spiel wirklich alle mitspielen?

Grundlegender Unterschied bei Multiplikation und Teilung

Während es genügt, die Religion durch Überlieferung zu verbreiten, um sie zu „vermehren“, muss für die Vermehrung von Geld gearbeitet werden, um Realkapital als Äquivalent zur Geldmenge zu generieren. Wird die Geldmenge einfach nur ausgeweitet, ohne dass diese durch einen realen Gegenwert gedeckt ist, steht dem Realkapital eine höhere Geldmenge gegenüber, womit die einzelne Geldeinheit weniger Wert hat. Dieses Aufblasen der Geldmenge gegenüber dem Realkapital nennen wir Inflation. Ob wir mit unseren „Konjunkturprogrammen“ zur Therapierung der Wirtschaftskrise auf dem richtigen Weg sind? Würde man die Verabreichung einer Flasche Vodka an einen Alkoholkranken auch als Therapie bezeichnen?

Religion hingegen lässt sich problemlos vermehren, da sie immaterieller Natur, das heisst im Gegensatz zu Geld nicht an Materie gebunden ist. So lässt sie sich problemlos vervielfältigen wie heute digitalisierte Inhalte, die nicht mehr an einen materiellen Träger gebunden sind. Würde man auch die „Nutzung“ und Verbreitung von Religionen in gleicher Weise wie Literatur, Musik und Film monetarisieren wollen, bräuchte man anlaog zum Immaterialgüterrecht ein „Religionsgüterrecht“, indem man Religionen virtuell materialisieren beziehungsweise ihnen einen materiellen Charakter andichten müsste. Zum Glück ist noch niemand auf eine solch absurde Idee gekommen – ausser den Scientologen vielleicht, die die Monetarisierung der Religion zum Kern ihrer Religion gemacht haben.

Religion multipliziert sich wie die Liebe kostenlos, wenn sie geteilt wird. Geld dagegen verliert seinen Wert für den einzelnen durch jeden zusätzlichen Teilhaber, mit dem es geteilt wird. Diesbezüglich ist die Religion dem Geld um Längen überlegen.

Verhältnis zwischen Kirche und Geld

Kirche Mammons„Niemand kann zwei Herren dienen, denn entweder wird er den einen hassen und den andern lieben oder er wird einem anhangen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“, heisst es im Neuen Testament – Matthäus, Kapitel 6, Vers 24. Mammon [10] ist der aramäische Begriff für materiellen Besitz und Reichtum. Hier geht es um den Grundsatz einer klaren Wertordnung, die eine Trennung von Kirche und Staat vorsieht und sich gegen die (materielle) Gier richtet. Im Christentum vor der Aufklärung wurde es noch als verwerflich angesehen, sich an der Not anderer zu bereichern und mehr zurückzuverlangen als man leihweise gegeben hat. Mit dem Zinsverbot sollte die Herrschaft des Geldes verhindert werden, denn materielles Gewinnstreben und Christusnachfolge galten als unvereinbare Gegensätze. Bereits auf zahllosen frühkirchlichen Synoden wurde das Zinsverbot beschlossen und bekräftigt und erlangte später unter den Karolingern allgemeine Gültigkeit. Im Jahre 1215 wurde dieser Grundsatz von Papst Innozenz III. in Form eines generellen Zinsverbotes rechtlich institutionalisiert, nachdem es zuvor schon durch das zweite Laterankonzil 1139 beschlossen und 1150 durch Papst Eugen III. wiederholt verkündet wurde.

Doch auch die Christen von damals konnten/wollten nicht ganz ohne Kredite auskommen. Deshalb wurden Geldgeschäfte von Juden wahrgenommen, die ein Zinsverbot nur für Ihresgleichen aber nicht für Fremde kannten. Diese Unterscheidung hat zu einem wesentlichen Teil zur tragischen Geschichte der Juden einerseits und zum exorbitanten Reichtum einer kleinen Banksterelite jüdischer Abstammung andererseits beigetragen. Später wurde das Zinsverbot durch Zuschläge auf Darlehen oder in Form von Gewinnbeteiligungen umgangen. Erst die kirchliche Reformation und die weltliche Renaissance hoben das Zinsverbot auf und ebneten damit der Entwicklung des Kapitalismus den Weg. Die Kirchen und insbesondere die katholische waren zwar noch bis ins 20. Jahrhundert Verfechter des Zinsverbots. Doch heute wird der Zins auch von ihnen allgemein akzeptiert.

VatikanIn diesem Spannungsfeld nimmt heute die Vatikanbank, deren offizieller Name „Institut für die religiösen Werke“ („Istituto per le Opere di Religione“, kurz IOR) lautet, eine besondere Rolle ein. Sie fungiert als eine Art Girozentrale für die römisch-katholische Weltkirche. Ursprünglich war sie lediglich ein Treuhand- und Verwaltungsunternehmen für die Besitztümer des Vatikans. Sie arbeitet mit eigenem Vermögen und auf eigene Rechnung im Auftrag des jeweiligen Papstes. Die Bank vergibt keine Darlehen und vermeidet nach eigenen Angaben den Handel mit derivativen Finanzinstrumenten. Deshalb ist sie wohl eine der weltweit wenigen Banken, die keine Liquiditätsprobleme haben und kaum von der Finanzkrise betroffen sind, denn weder nimmt oder gibt sie Zinsen, noch spekuliert sie mit dem Vermögen des Vatikans, das vor allem in ausländischen Wertpapieren angelegt ist. Die Gewinne der Vatikanbank werden nur für religiöse Akivitäten eingesetzt. Doch auch sie ist von der übrigen Geldwirtschaft abhängig, vor allem auch weil ihre Anlagen hauptsächlich aus Aktien von Bankhäusern bestehen und der Vatikan keine eigene Währung besitzt.

Missbrauch lässt sich kaum vermeiden

In den Medien wird uns oft als normal verkauft, dass Religionsführer die Macht und den Einfluss, die naturgemäss von jeder Religion ausgeht, immer wieder für politische und persönliche Zwecke missbrauchen – die einen etwas mehr, die anderen etwas weniger. Fehltritte einzelner Priester sind immer wieder Grund für Kirchenaustritte und ein gefundenes Fressen für die Medien. Für Otto Normalverbraucher mit einfachem Weltbild ist eine Differenzierung zwischen dem wesentlichen Kern einer Religion, dem sogenannten Dogma [11], sowie den Irrungen und dem (Fehl-)Verhalten einzelner geistigen beziehungsweise geistlichen Führer, deren Aufgabe eigentlich die Bewahrung und Verkündigung eben dieser Glaubenswahrheit wäre, nicht möglich. So verbinden viele Halbwissenden die Geschichte der christlichen (und insbesondere auch der katholischen) Kirche(n) nur mit Krieg, Raubrittertum, Folter, Inquisition, Pädophilie und Gehirnwäsche. Dies sind letztlich alles Formen des Machtmissbrauchs und können dazu verleiten, den Machtmissbrauch als eigentlichen Zweck einer Religion zu sehen oder hinter jeder Religion eine Verschwörung zu wittern. Doch keine der grossen Weltreligionen wurde dazu gegründet im Gegensatz zu gewissen Sekten, deren einziger Zweck in der Unterjochung und Ausbeutung naiver Heilssuchender besteht.

Nicht nur durch die Fehltritte einzelner Protagonisten müssen Religionen leiden. Die Religion selber wurde und wird immer wieder als Rechtfertigungsgrund missbraucht, um Kriege zu führen. Die Kreuzzüge, die Reformationskriege, die Eroberung Amerikas, der Konflikt zwischen Sikhs und Hindus oder der Nordirlandkonflikt: unter dem Vorwand der Missionierung und der Verteidigung der eigenen Religion wurden schon immer andere Menschen bekämpft, unterjocht und ausgebeutet, obwohl dies weder Bestandteil der Heilslehre noch der Tradition der Religionen ist. Die Auswüchse im Islam und Judentum, die es genauso gibt wie im Christentum, möchte ich nicht kommentieren, da ich mit meinem Halbwissen zu diesen Religionen kaum genügend Einblick habe, um deren Missstände qualifiziert zu würdigen.

Bei Machtmissbrauch im Zusammenhang mit Geld denken wir an das unethische Geschäftsgebaren von Heuschrecken-Investoren, die unverschämten Boni in den obersten Führungsetagen von Grosskonzernen oder ganz einfach an Korruption und den ganzen Finanz-Schwindel, der die aktuelle Wirtschaftskrise hervorgebracht hat. Geld ist eigentlich eine der wohl genialsten Erfindungen der Menschheit, die eine florierende Wirtschaft erst möglich macht. Doch intuitiv spüren wir, dass an unserem Geld- und Wirtschaftssystem etwas faul ist, wenn wir bloss ein paar seiner Früchte wie die soziale Ungerechtigkeit durch Umverteilung des Reichtums von Arm nach Reich, die steigende Arbeitsosigkeit und die zunehmende Sinnentleerung in der Arbeitswelt betrachten. Wer hier nun Missbrauch der wirtschaftlichen Macht über die Kontrolle des Geldes vermutet, hat den richtigen Riecher oder sogar den Durchblick, denn der Profit der Elite durch Ausbeutung der grossen Mehrheit hat System. Und wer dabei an Marx und Lenin sowie die Ausbeutung der Arbeiterklasse denkt, liegt zwar nicht ganz daneben, trifft damit den Nagel aber nicht ganz auf den Kopf, denn die Wurzel das Übels liegt in den Mechanismen der Umverteilung. Und das betrifft uns alle.

Geld und Religion als Droge

Alkoholkonsum ist und war in unseren Breitengraden schon immer gesellschaftlich akzeptiert und gehört in manchen Kreisen auch heute noch zum guten Ton. Gerade viele Personen in Führungspositionen und mit hohem gesellschaftlichen Status konsumieren täglich Drogen – allen voran Alkohol, Cannabis und Kokain, weil sie sonst glauben, am täglichen Druck ihrer Arbeitswelt zu zerbrechen. Drogenkonsum kannten aber schon die Steinzeitmenschen. Ihnen standen im Gegensatz zu den heutigen synthetischen Hirnbetäubern nur giftige Pilze und Blätter sowie Giftsekrete von Tieren zur Verfügung. Drogen haben die Eigenart, bereits nach einer relativ kurzen Zeit abhängig beziehungsweis süchtig zu machen. Ja, Drogen sind Gift – nicht nur für den Körper sondern auch für die Gesellschaft. Jemand, der unter dem Einfluss von Drogen steht, ist nicht mehr zurechnungsfähig und stellt eine Gefahr sowohl für sich selber als auch für seine Umwelt dar.

Opium-TraumKarl Marx nannte die Religion „das Opium des Volkes“ und Lenin machte dies zur Kampfparole. Beide sahen in der Religion nur ein Mittel zur Versklavung der Menschen. Ihre Wahrnehmung mag wohl auf negative persönliche Erlebnisse zurückzuführen sein, wobei ihr Hass wahrscheinlich mehr den fehlgeleiteten Protagonisten galt als der eigentlichen Heilslehre. Drogen sind allerdings in verschiedenen Religionen – vornehmlich in jenen von Naturvölkern – fester Bestandteil von Ritualen. Die Einnahme von psychoaktiven Substanzen wirkt enthemmend und bewirkt meist eine veränderte Wahrnehmung der Umwelt. Dies kann bis zu Halluzinationen führen, die als Gotteserfahrung interpretiert werden.

Süchte sind Flüchte und einer Sucht geht in der Regel eine Leidensgeschichte voraus, welche den betreffenden in die Flucht und in die Sucht treibt. So kann auch die Flucht vor der als nicht mehr auszuhalten empfundenen Belastung des Alltags in die Religion als eine Art Drogensucht verstanden werden. Im Extremfall kann dies für Aussentehende sogar bizarre Formen annehmen und bigott und lächerlich wirken. Der Religionsmissbrauch als Droge darf allerdings nicht mit Religion als „Ort“ der Zuflucht und des Trostes verwechselt werden. Doch die Übergänge sind fliessend.

Kann auch Geld eine Droge sein? Nicht, indem es direkt konsumiert wird, denn das bedruckte Papier und das bunte Metall würden sicher scheusslich schmecken. Aber unsere Gesellschaft lebt in einem Konsum- und Verschuldungsrausch. Wer sich da nun ausnehmen will, soll einmal zusammenrechnen, was er monatlich an direkten und indirekten Zinsen bezahlt. Gut und gerne mehr als 50 Prozent unseres Einkommens geben wir für Zinsen aus und wo Zinsen bezahlt werden, muss sich schliesslich auch jemand verschuldet haben. Allein schon die Hypothekarkredite machen einen grossen Teil dieser Schulden aus. Wir haben uns von einem System abhängig gemacht, von dem wir nicht mehr loszukommen scheinen.

Mit Geld können nicht nur Drogen gekauft werden. Das Geld selber kann auf zwei Arten zur Droge werden. Wer durch Gier getrieben wird, hortet das Geld. Wer an Minderwertigkeitskomplexen leidet, versucht dies durch einen exzessiven Konsum zu kompensieren, bis ihn im schlimmsten Fall der Konkurs ereilt. Natürlich gibt es auch alle Schattierungen dazwischen. Aber seien wir einmal ehrlich! Wer von uns erliegt nicht hin und wieder dem einen oder dem anderen?

Wer Missstände bekämpft, lebt gefährlich

Die Religionen und das Geldsystem sind die wichtigsten Einflussfaktoren unserer Zivilisation. Wer den Wertekonsens in Frage stellt, legt sich mit ihren Führern an. Dies kommt einer Revolution gleich. Jenachdem auf welcher Seite man steht, nennt man einen solchen Revolutzer einen Freiheitskämpfer oder einen Terrorist.

PassionOb nun Jesus für eine Hand voll Silberlinge verraten oder als Rache für die Vertreibung der Wechsler aus dem Tempel mit dem Tod bestraft wurde, ist gar nicht so entscheidend. Er wurde von der die Leitkultur definierenden Elite „eliminiert“, die um ihren Führungsanspruch und den damit verbundenen Wohlstand durch Privilegien fürchtete. Auch Martin Luther hatte einen schweren Stand, als er die katholische Kirche in Anbetracht der damaligen Auswüchse und Fehlentwicklungen reformieren wollte, was zur eigentlich unbeabsichtigten Kirchenspaltung führte. In die Reihen der „Rebellen“ reiht sich auch der ehemalige US-Präsident John F. Kennedy, der 1963 ermordet wurde, kurz nachdem er verlauten liess, die Macht des US-amerikanischen Zentralbankensystems FED brechen zu wollen.

Was wäre die Welt ohne Geld oder Religion?

Auch wenn der Missbrauch im Zusammenhang mit Geld und Religion eine unliebsame Begleiterscheinung darstellt, sind beide aus einer Zivilisation nicht wegzudenken. Ohne Geld gibt es keine florierende Wirtschaft und ohne Religion fehlt uns der Sinn des Lebens und die Orientierung an Werten. Eingefleischte Religionshasser mögen behaupten, auch ohne Religion auskommen zu können. Dabei merken sie gar nicht, dass sie damit ihre eigene Religion definieren. Das ist dann so, wie wenn jemand bestrebt ist, kein Streber zu sein. Ein Atheist braucht einen viel grösseren Glauben an das Nichts als ein Christ, Jude oder Moslem, der sein Haupt vor einem Gott und Schöpfer neigt in der Erkenntnis, dass gemäss den Gesetzen der Logik und der Naturwissenschaften nichts aus dem Nichts entstehen kann.

Betende HändeWenn Gott aus dem Horizont der Menschen verschwindet, führt dies erfahrungsgemäss zu Orientierungslosigkeit und damit zur Verwahrlosung der Werte. Eine solche Entwicklung lässt sich immer dann beobachten, wenn die Mehrheit der Menschen in wirtschaftlicher Sorglosigkeit lebt und die Menschen anfangen, sich aus Langeweile zunehmend mit sich selber zu beschäftigen, weil sie keinen Sinn in ihrem irdischen Dasein erkennen. Dann nehmen auch die psychischen Erkrankungen zu. Wird die Kette der Überlieferung des Glaubens unterbrochen, wird dies zum Dauerzustand. Damit ist der Untergang der betreffenden Kultur vorprogrammiert. Die Religion und der freie Wille, sich bewusst für oder gegen etwas zu entscheiden, unterscheidet den Menschen vom Tier und begründet seine Herrschaft über den Planeten Erde. Dies gilt jedoch nur, solange er damit vernünftig und verantwortungsvoll umzugehen vermag, was man aktuell doch stark bezweifeln muss.

Wer keinen Zugang zum Glauben hat, bleibt von religiösen Einsichten und Erfahrungen ausgeschlossen. Ihm fällt es schwer, Aussagen und Handlungen von Gläubigen nachzuvollziehen und zu verstehen, weil er die Symbolik in den religiösen Sprachen nicht richtig zu deuten vermag, sondern alles wortwörtlich nimmt und missinterpretiert. Wer den Glauben bloss über seinen beschränkten Intellekt zu erschliessen versucht, wird zwangsläufig daran scheitern, denn der Glaube findet vornehmlich im Herzen und nicht nur im Kopf statt. Wer keinen Zugang zum Geld hat, ist vom Wirtschaftkreislauf ausgeschlossen und damit benachteiligt. Er kann dadurch auch am gesellschaftlichen Leben nicht vollwertig teilhaben und ist auf Almosen angewiesen.

Religion und Geld sind wichtige Elemente unserer Zivilisation und werden in unserem Leben auch künftig eine grosse Rolle spielen. Wir müssen allerdings lernen, zu differenzieren zwischen dem Kern der Glaubenswahrheit beziehungsweise der eigentlichen Funktion des Geldes und den Auswüchsen und Missbräuchen, die wohl auch in Zukunft nie ganz zu verhindern sein werden. Aber wenn wir um die Mechanismen wissen, wird es uns eher gelingen, uns der Manipulation durch andere zu entziehen und Systemmissbräuche zu verhindern. Dann wird auch der Wertekonsens gewahrt bleiben und zu Frieden und Wohlstand beitragen. Wir tun gut daran, den Glauben an unsere wahren Werte aufrecht zu erhalten und an die folgenden Generationen weiterzugeben.

Update vom 15.06.2009

Heute stiess ich hier [12] auf ein Referat über „Geld und Religion“ von Kardinal Karl Lehmann, Bischof von Mainz und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, an der Universität Heidelberg vom Juli 2001. Das Video ist 49 Minuten lang und sehenswert.

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#1 Kommentar von sinnfrei am Dienstag, 9. Juni 2009 00000006 18:54 124456644206Di, 09 Jun 2009 18:54:02 +0200

da hat wohl jemand auch die Doku vom Geist des Geldes gesehen 🙂 und falls nicht, wird sie dich sicher interessieren! Wie immer: Super-Dossier zusammengestellt, Chapeau!

#2 Kommentar von Sociobilly am Dienstag, 9. Juni 2009 00000006 20:46 124457318108Di, 09 Jun 2009 20:46:21 +0200

[13]

#3 Kommentar von Claudia am Sonntag, 12. Juli 2009 00000007 09:04 124738224809So, 12 Jul 2009 09:04:08 +0200

Meinem Empfinden nach braucht man keinen Gott, um sich um ein anständiges Leben entlang an Werten zu bemühen.
Du schreibst, Atheisten müssten heftiger an das Nichts glauben als Gläubige an Gott – wo bleiben in dieser Sicht der Dinge aber all diejenigen, die einfach nur an die Wissenschaft glauben und sich am „Streit um Gott“ gar nicht beteiligen? Die vielleicht nichts dagegen haben, wenn Menschen den letzten Grund aller Dinge in der Abstrahierung „Gott“ nennen wollen, sich aber selber mehr für den Urknall und das Higgs-Teilchen interessieren? Im Buddhismus kommt man ebenfalls ohne Gott aus – sind Buddhisten deshalb unethischere Menschen als Theisten?

Ich wundere mich, dass es vielen so schwer fällt, auf Sinngebungen von AUSSEN oder OBEN zu verzichten. Eine Orientierung am Kantschen Imperativ bzw. dessen populärer Form (Was du nicht willst, dass man dir tu….) ist doch für jeden verständlich, ist leicht verstehbar und auch nachfühlbar.

Nicht allein der Machtmissbrauch für weltliche Zwecke ist es, der viele von den theistischen Religionen entfremdet, sondern tatsächlich das „Dogma“. Ich will ja niemandem auf den Schlips treten, aber die Vorstellung eines Gottes, der auch noch persönlich ansprechbar sein soll und sich um die Belange der Gläubigen kümmert, erscheint in Zeiten eines wissenschaftlichen Weltbilds doch recht kindlich-naiv. Von Wundern, unbefleckter Empfängnis, Spaziergängen übers Wasser und Auffahrten in den Himmel ganz zu schweigen.

Einfach „Verstand abschalten und glauben“ ist immer weniger Menschen möglich – und eigentlich finde ich das gut so. Habe aber auch eingesehen, dass es für viele zu erschreckend ist, einfach so in einem riesigen, unüberschaubaren Kosmos zu stehen und uns Menschen mit unseren elaborierten Gerätschaften nicht als wesentlich verschieden von der Spinne anzusehen, die recht kunstvolle Netze baut.

Es sollte also jeder an den Gott seiner Wahl glauben dürfen – nur schade, dass das den meisten nicht reicht: es muss dann immer gleich der einzige bzw. der WAHRE Glaube sein – und das trägt eben den Keim des Krieges in sich. Ein Fach „Ethik, Religion“ soll dem entgegen wirken und Toleranz und Verständnis vermitteln – eine durchaus sinnvolle Intention!

#4 Kommentar von mondstern am Sonntag, 12. Juli 2009 00000007 09:23 124738340909So, 12 Jul 2009 09:23:29 +0200

ja natürlich braucht man einen gott

#5 Kommentar von Sociobilly am Montag, 13. Juli 2009 00000007 01:17 124744063001Mo, 13 Jul 2009 01:17:10 +0200

@Claudia: Natürlich kann man sich auch ohne Gott an Werten orientieren und um ein „anständiges“ Leben bemühen. Aber wenn wir unseren Glauben einfach nur auf die Wissenschaft beschränken, sind wir im wahrsten Sinne des Wortes beschränkt. Um einen „Streit um Gott“ geht es doch gar nicht sondern vielmehr um die Anerkennung einer göttlichen Ordnung, die Erkenntnis, dass nichts aus dem Nichts entstehen kann, und um Demut als Gegensatz zur Überheblichkeit – so unpopulär dies nun auch klingen mag.

Das mit dem Urknall ist mir persönlich etwas zu abstrakt. Wer hat eigentlich auf den Knopf gedrückt?

Religion ist keine Sinngebung von aussen. Sie ist die Lehre von der göttlichen Ordnung und dem Sinn des Lebens. Und übrigens ist der Leitsatz „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg‘ auch keinem andern zu“ völlig im Sinn der christlichen Lehre. Was soll daran „kindlich-naiv“ sein, mit Gott persönlich sprechen zu wollen, wenn man an seine Existenz glaubt? Glauben hat überhaupt nichts mit „Verstand abschalten“ zu tun – ganz im Gegenteil! Es bedarf schon eines gewissen Intellekts, sich fundiert mit Religion auseinanderzusetzen und zu wissen, warum man etwas glaubt.

Zu Deinem Dilemma mit dem „wahren Glauben“: Wenn jemand seinen Glauben nicht als die einzige Wahrheit erachten würde, wäre er ein Narr, daran zu glauben. Deinen Worten entnehme ich, dass Du Dich noch nie tiefgehend mit dem Glauben auseinandergesetzt und somit auch (noch) keinen Zugang dazu gefunden hast.

Toleranz ist etwas für Weicheier und Ignoranten, die keinen Standpunkt einnehmen wollen und nicht bereit sind, für ihre Werte einzutreten. Was wir brauchen ist Respekt vor unseren Mitmenschen ebenso wie vor der Schöpfung und ihrem Schöpfer.

@mondstern: Die Frage ist weniger, ob man einen Gott braucht, sondern ob es ihn gibt und wie wir damit umgehen wollen.

#6 Kommentar von Thinkabout am Montag, 13. Juli 2009 00000007 02:34 124744524602Mo, 13 Jul 2009 02:34:06 +0200

Ich persönlich kann auch als Christ nicht glauben, dass ein Muslim Gott nicht mindestens so nah sein kann wie ich.
Mit Erstaunen stelle ich fest, dass viele Bilder und Konstruktionen unseres christlichen Glaubens, wie z.B. Gott, Sohn und heiliger Geist, sehr ähnlich schon im Hinduismus zu finden sind, jahrtausende älter als die Niederschriften in der Bibel.
Dies alles bringt meinen persönlichen christlichen Glauben in keiner Weise in Bedrängnis. Es verhindert nur, dass ich missionarisch FüR die Bekehrung zu meinem eigenen Glauben tätig werde. Was ich mir aber bewusst bin und was ich leisten will ist folgendes:
Ich will meine persönliche Gotteserfahrung, in der mein Gott für mich eine Realität ist, vor-leben. In dieser Form Zeugnis abzulegen, kann und muss niemanden stören, es ist schlicht eine Lebensweise, aber mehr als blosser Glaube. Ich weiss um meinen Gott. Ich kann niemandem garantieren, dass es ewiges Leben gibt, aber ich bekomme auf Schritt und Tritt aufgezeigt, dass der Kern meiner Seele nicht an meinen Körper gebunden ist. Alles, was wir Menschen aus diesen Beobachtungen machen, ist Religion – und Bild. Ich glaube, dass Gott sehr viel toleranter ist als jeder Pfarrer oder Imam oder Rabbi dieser Welt. Und er ist mir so nah, dass ich mit ihm sprechen kann. Deswegen bin ich weit davon entfernt, anzunehmen, dass dies einem Juden oder einem Moslem nicht möglich wäre. Und ich bin froh um deren geistigen Reichtum für die Welt der Suchenden und Wachen. Für jene, die jenseits aller absoluten Dogmen nach wirklicher Wahrheit suchen.

#7 Kommentar von Claudia am Montag, 13. Juli 2009 00000007 12:42 124748175712Mo, 13 Jul 2009 12:42:37 +0200

@Sociobilly:

ich bin etwas perplex über deine Antwort! Ich bezog mich mit meinem Kommentar auf folgenden Passus deines Artikels:

„Ohne Geld gibt es keine florierende Wirtschaft und ohne Religion fehlt uns der Sinn des Lebens und die Orientierung an Werten. Eingefleischte Religionshasser mögen behaupten, auch ohne Religion auskommen zu können. Dabei merken sie gar nicht, dass sie damit ihre eigene Religion definieren. Das ist dann so, wie wenn jemand bestrebt ist, kein Streber zu sein. Ein Atheist braucht einen viel grösseren Glauben an das Nichts als ein Christ, Jude oder Moslem, der sein Haupt vor einem Gott und Schöpfer neigt in der Erkenntnis, dass gemäss den Gesetzen der Logik und der Naturwissenschaften nichts aus dem Nichts entstehen kann.“

und habe dem in zweifacher Hinsicht widersprochen. Nämlich einerseits, dass es auch ohne Gott möglich ist, ein Werte-orientiertes Leben zu führen – und zweitens, dass man nicht „Religions-Hasser“ bzw. militianter Atheist sein muss, wenn man ohne Gottesglauben auskommt.

Dem ersten Punkt stimmst du zu, schreibst dann aber weiter:

„Aber wenn wir unseren Glauben einfach nur auf die Wissenschaft beschränken, sind wir im wahrsten Sinne des Wortes beschränkt. Um einen “Streit um Gott” geht es doch gar nicht sondern vielmehr um die Anerkennung einer göttlichen Ordnung, die Erkenntnis, dass nichts aus dem Nichts entstehen kann, und um Demut als Gegensatz zur Überheblichkeit – so unpopulär dies nun auch klingen mag.“

und erklärst mich damit für „beschränkt“, weil ich nicht deinem Glauben anhänge! Für mich gibt es keine „göttliche Ordnung“, sondern eine Evolution der Natur, die sowohl erschafft als auch wieder zerstört – wenn schon eine Gottesvorstellung, läge mir die hinduistische Vorstellung (die auch das Zerstörerische / die dunkle Seite integriert) näher als die christliche mit ihrem Bemühen, einen allmächtigen, allwissenden und GUTEN Gott anzunehmen und dann das Problem durch die Zeiten zu tragen, wie es denn zu all den Schrecklichkeiten kommt, wenn er/sie doch GUT und ALLMÄCHTIG ist.

Dass wir nicht wissen, wie der Kosmos in den ersten Augenblicken entstanden ist, liegt doch wesentlich daran, dass wir keinen Standpunkt außerhalb einnehmen können, wo das beobachtbar wäre. Deshalb muss ich nicht zu einer Gottesvorstellung kommen, schon gar nicht zu einem „persönlichen“.

Als Kind glaubte ich noch (ganz NAIV) an Gott, weil man mir das so erzählte. Auch, dass ich mit ihm sprechen könnte, was sich allerdings als falsch erwieß: er antwortete nicht. Deshalb gab ich diesen Glauben mit 9 Jahren auf.

Ich habe dir also mit meinem Kommentar einfach eine Stellungnahme von einem Weltbild aus abgegeben, das ich als rund um mich her seit Jahrzehnten als das verbreitetste erlebe. Wir erkennen die Welt in der Regel über den Verstand und die Wissenschaft ist es, die das Weltbild mittels Theorie und Versuch konkretisiert. Es ist daher nicht eben mal so locker machbar, zu Überzeugungen zu kommen, wie sie Gläubige haben.

Du schreibst selbst im Artikel:

„Wer den Glauben bloss über seinen beschränkten Intellekt zu erschliessen versucht, wird zwangsläufig daran scheitern, denn der Glaube findet vornehmlich im Herzen und nicht nur im Kopf statt.“

und eben DARAUF habe ich mich bezogen mit meinem Satz

„Einfach “Verstand abschalten und glauben” ist immer weniger Menschen möglich “

Worauf du mir um die Ohren haust:

„Glauben hat überhaupt nichts mit “Verstand abschalten” zu tun – ganz im Gegenteil! Es bedarf schon eines gewissen Intellekts, sich fundiert mit Religion auseinanderzusetzen und zu wissen, warum man etwas glaubt.“

Ja was denn nun? Dann schließt du auch noch mit einem aggressiven

„Toleranz ist etwas für Weicheier und Ignoranten, die keinen Standpunkt einnehmen wollen und nicht bereit sind, für ihre Werte einzutreten.“

Für mich ist Toleranz die friedenserhaltende Haltung gegenüber Andersdenkenden und Andersglaubenden. Deine Art, mit mir zu sprechen, empfinde ich als abwertend und nicht von intellektueller Redlichkeit geprägt. Sie bestätigt meine Erfahrung, dass mit Gläubigen meist nicht vernünftig zu sprechen ist: man bekommt ständig einen auf die Mütze wegen der eigenen Ungläubigkeit und auf Argumente wird nicht eingegangen.

Lassen wir es also dabei bewenden, es ist ein fruchtloser Disput.

#8 Kommentar von Thinkabout am Montag, 13. Juli 2009 00000007 13:58 124748630301Mo, 13 Jul 2009 13:58:23 +0200

Liebe Claudia
Ich verstehe Dich. Aber lass Dir sagen, dass ich mich – obwohl in anderer Position als Du – von LD durchaus auch angegriffen gefühlt habe: Er spricht die Art Toleranz an, die Christen gerne hervorkehren, wenn sie damit vermeiden können, ihren Glauben erklären oder verteidigen zu „müssen“. Und hier bin ich ihm dankbar, dass er sagt, was er eben sagt:
Christen sollten sich sehr wohl sehr viel verbindlicher erklären und vor allem auch leben, was sie glauben. Das ist schwierig genug, aber im Grunde nichts anderes, als Du auch versuchst: Ich „kenne“ Dich gut genug, um zu wissen, dass gerade Du Dir sehr viele ernsthafte Gedanken um unser Woher und Wohin machst. Und das ist immer wieder eine Bereicherung für mich.

#9 Kommentar von Sociobilly am Montag, 13. Juli 2009 00000007 16:48 124749651304Mo, 13 Jul 2009 16:48:33 +0200

Eine „göttliche Ordnung” und eine „Evolution der Natur“ sind für mich keine Gegensätze. Weshalb sollte es in einer göttlichen Ordnung keine Evolution geben? Vielleicht liegt das Problem am Gottesbild, das einige von einem „allmächtigen“ Gott haben. Wer erwartet, dass ein „guter“ Gott ein Gott sein muss, der keine „Schrecklichkeiten“ auf der Welt zulässt, masst sich an, diesen Gott zu bevormunden. Wenn wir der Bibel Glauben schenken, dann wurde der Mensch von Gott „nach seinem Ebenbild“ erschaffen – ohne dass dies jedoch näher spezifiziert wird. Demzufolge hat der Mensch einen freien Willen und damit natürlich (oder leider) auch die Freiheit, „Schrecklichkeiten“ beziehungsweise Sünden zu begehen, wofür er aber „am Tag des jüngsten Gerichts“ zur Rechenschaft gezogen wird.

Wenn Du mit Gläubigen sprichst, die nur blind das glauben, was sie von „Predigern“ vorgesetzt bekommen, wirst Du keine „vernünftigen“ Argumente zu hören bekommen, denn sie haben ganz einfach keine. Ebensowenig kommen aber auch „vernünftige“ Argumente von denen, die ihren Glauben oder Unglauben nur auf dem aufbauen, was ihnen die Wissenschaft mit ihrer beschränkter Erkenntnisfähigkeit serviert.

Claudia, ich attestiere Dir keinesfalls, dass Du generell „beschränkt“ bist. Wenn Du jedoch Dein Weltbild nur auf dem basierst, das Dir die Wissenschaft als gesicherte Erkenntnis liefert, beschränkst Du Dich in dieser Hinsicht selber.

Über Toleranz bestehen anscheinend unterschiedliche Auffassungen. Toleranz kommt aus dem lateinischen „tolerare“ und heisst auf Deutsch „erdulden“. Die Erduldung von etwas, das meinen Wertvorstellungen widerspricht ist für mich keine „friedenserhaltende Haltung“, denn genau dieses „die Faust im Sack machen“ führt zu unterdrückten Aggressionen und letztlich zu Krieg. Toleranz ist für mich keine Option, denn es ist ein Zustand der Passivität. Wenn mir etwas wertvoll ist, dann setze ich mich dafür aktiv ein. Andernfalls ist es mir einfach egal, d.h. dann bin ich dem gegenüber gleichgültig. Das hat nichts mit Toleranz zu tun. Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass gerade die, welche am lautesten nach Toleranz schreien, selber am wenigsten tolerant gegenüber anders Denkenden sind. Ich verlange von niemandem Toleranz sondern wenn schon dann Achtung und Gesprächsbereitschaft.

Wie Thinkabout richtig bemerkt, wäre sowohl von Christen als auch von Nichtchristen mehr Verbindlichkeit angesagt. Wenn Du es als aggressiv und abwertend empfindest, dass ich Flagge zeige und mich klar zu meinen Werten bekenne, liegt das womöglich an der im deutschen Sprachraum fehlenden „Streitkultur“. Darunter verstehe ich das Austauschen von Argumenten und Standpunkten im altgriechischen Sinn beziehungsweise im Sinn des lateinischen „disputare“. Mit Aggressivität hat dies nichts zu tun. Deswegen musst Du nicht gleich eingeschnappt sein 😉