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Unser Geld- und Wirtschaftssystem hat einen Konstruktionsfehler – Teil 2

Inhaltsverzeichnis

Wem die Ausführungen im ersten Teil [1] etwas zu komplex und unverständlich erscheinen, sollen ein paar Zahlenbeispiele den Konstruktionsfehler unseres Geld- und Wirtschaftssystems verständlich machen. Danach schauen wir die Beschleunigung der Aufblähung durch Finanzderivate an und für die Lesefaulen gibt’s am Schluss noch einen Film. Die ethischen, mathematischen und wahrnehmungspsychologischen Betrachtungen folgen im dritten Teil [2] mit einem Ausblick auf mögliche Lösungsansätze, bevor es dann in Teil 4 [3] und Teil 5 [4] vor allem mit Videos weitergeht.

Zins und Zinseszins konkret

Wird ein Geldbetrag von 100 Franken zu 10 Prozent Zins angelegt, so wächst das Guthaben über eine Laufzeit von 50 Jahren auf rund 12’000 Franken an. Bei der Wirtschaftlichkeitsrechnung von Investitionen werden die jährlichen Geldzuflüsse und -abflüsse bei der Berechnung des NPV (Net Present Value [5]) in der Regel mit einem Zins von 12 Prozent abdiskontiert. Mit einer solchen Rendite können sich soziale und ökologische Projekte nicht messen.

Zinseszinskurve
Die Zinseszinskurve ist eine Exponentialfunktion

Ein weiteres Beispiel zeigt die Absurdität des Zinseszinses. Hätte Josef bei Jesu Geburt für diesen ein Sparkonto mit einer Einlage von 1 Cent eröffnet, wäre dieses bei einer Verzinsung mit 5 Prozent im Jahr 2000 1’125 Billiarden (15 Nullen) Erdkugeln aus Gold wert gewesen und bereits im Jahre 1400 hätte er eine ganze Erdkugel aus Gold kaufen können.

Wer dabei mathematisch nicht ganz durchblickt und diesem Zahlenbeispiel nicht traut, dem sei die Legende vom weisen Erfinder des Schachbretts [6] in Erinnerung gerufen, der sich den Lohn für seine Erfindung vom König in Reis auszahlen liess, wobei sich die Zahl der Reiskörner beginnend mit Eins für jedes Feld des Schachbretts verdoppeln sollte. Die Geschichte ist auch als Weizenkornlegende [7] bekannt. Für Experimentierer gibt’s bei FOnLine noch mehr [8] dazu.

Wirtschaftswachstum konkret

Ein Hersteller hat im Jahre 1950 1’000 Wolldecken hergestellt. Bei einem Minimalwachstum von jährlichen 2 Prozent produziert er im Jahr 2000 bereits 2’692 Wolldecken, wobei er im Vergleich zum Vorjahr 53 Wolldecken mehr hergestellt hat. Bei einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 7 Prozent sind es im Jahr 2000 bereits 29’457 Wolldecken und 1’927 Wolldecken mehr als im Vorjahr 1999. Daraus wird auch für den Laien ersichtlich, dass eine konstante Wachstumsangabe in Prozent alles andere als konstant sondern eine Augenwischerei und solch ein Wachstum längerfristig gar nicht möglich ist.

Ökonomen haben eine andere Wahrnehmung

Der Laie mag jetzt ob diesen Zahlenbeispielen etwas verwirrt sein, denn für ihn klingt das alles völlig irrational – für jeden Mathematiker und Physiker übrigens auch. Nur Ökonomen scheinen sich an der Irrationalität des zinsbasierten Geldsystems nicht zu stören. Das mag wohl an ihrer langjährigen, systematischen Fehlkonditionierung liegen – manche nennen das auch Ausbildung.

Es kommt noch dicker

Was zwischen Bank und Kreditnehmer funktioniert, funktioniert auch zwischen zwei Banken. Wenn sich Banken untereinander auch noch Kredite sowie Kredite auf Kredite gewähren, können sie Geld praktisch in beliebigen Mengen aus dem Nichts schaffen [9]. Es ist unglaublich, aber so funktioniert unser zinsbasiertes Schuld-Geldsystem. Das ist die wundersame Geldvermehrung des Kapitalismus – auch Marx hat das nicht ganz begriffen. Wenn dann die Reichen und Wohlhabenden die im Markt verfügbare, d.h. im Umlauf befindliche Geldmenge durch Hortung verknappen, wird der Verteilungskampf um das Geld noch härter für die, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Davon zeugt auch die neuste Arbeitszeit- und Überstunden-Statistik [10] für 2007 des Bundesamtes für Statistik (siehe Medienmitteilung des BfS, PDF [11]). Diesem Druck [12] kann der Staat durch Verschuldung ein Stück weit entgegenwirken, indem er durch Staatsverschuldung Liquidität in den Markt pumpt (was zur Zeit mit vollen Rohren geschieht) – aber eben nur sehr begrenzt, denn mit dem Wachstum der Exponentialfunktion kann auch er nicht lange mithalten. Die Zeche dafür zahlen die Steuerzahler beziehungsweise deren Nachkommen. Hier gilt das Verursacher-Prinzip nicht.

Noch drastischer verschärft sich das Ganze durch die Derivatgeschäfte, die nichts anderes als legalisierte Wetten auf steigende oder fallende Börsenkurse beziehungsweise Preise darstellen. Derivate [13] (wie zum Beispiel Optionen) sind Wettscheine und ihr Wert hängt vom Preis des Wettobjektes und dessen Entwicklung ab. Sie haben keinen physischen beziehungsweise realen Gegenwert, das heisst sie sind durch nichts gedeckt. Ihr Wert ist ein rein spekulativer aufgrund der mit der Ausübung des jeweiligen Geschäftes erwarteten zukünftigen Gewinne aufgrund der Preisentwicklung der ihr zugrunde liegenden Produkte. Derivatgeschäfte führen zu einer reinen Geldumverteilung und verteuern die Produkte, wovon 2007 die Preisexplosion bei Nahrungsmitteln (z.B. Mais, Weizen und Reis) zeugte, die auch als Basis für Biotreibstoffe dienen. Sie führen lediglich zu höheren Transaktionskosten, ohne irgendeinen realen Mehrwert zu generieren. Derivate machen Märkte und ihre Güter zu Spekulationsobjekten. Besonders bei Hedge-Funds [14] sind Derivate in Kombination mit der Verschuldung für Fremdkapital zwecks Leverage-Effekt [15] fester Bestandteil der Spekulationsstrategien mit manipulativer Wirkung auf die Börsenkurse.

Auslöser der aktuellen Krise

Durch die grosse Umverteilung ist nun unheimlich viel Geld zu den Reichen (und Pensionskassen) dieser Welt geflossen, die dieses gehortet haben. Da aber im Kapitalismus das Geld noch mehr Geld erzeugen muss, gab es plötzlich mehr Geld als Investitionsmöglichkeiten. Also mussten neue Möglichkeiten geschaffen werden. Dies ist der Grund für die Entstehung der neuen Finanzderivate in den letzten Jahren, für die jedes Produkt als Basiswert [16] recht war: Aktien, Obligationen, Rohstoffe, Immobilien, Nahrungsmittel, das Wetter, CO2 und anderes mehr. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der damalige Vorsitzende der US-Notenbank, Alan Greenspan, der die Zinsen tief hielt, um die Hortung unattraktiv zu machen und die Investionen für das stagnierende Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Staatsobligationen wurden dadurch unattraktiv und so mussten die USA das Geld für den Krieg selber drucken, d.h. sich dieses beim FED leihen. Wallstreet aber bündelte und verbriefte Hypotheken zu „Mortgage Backed Securities“ bis der Markt nicht mehr hergab. Und dann baute man den Subprime-Sektor auf, indem man die Richtlinien für die Kreditvergabe lockerte bis jeder Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger („NINA“ – no income, no assets) zumindest auf dem Papier kreditwürdig wurde. Das freute vor allem auch die Bauunternehmer, die sich vor Bauaufträgen kaum noch retten konnten. Dass die Kredite faul waren, störte niemanden, solange die ­Ratingagenturen mitspielten und die Kurse in den Himmel stiegen. Um das Hütchenspiel (auch für die Ratingagenturen) noch undurchsichtiger zu machen, schnitt man die „Mortgage Backed Securities“ in handliche Tranchen und verkaufte diese als „Col­lateralized Debt Obligations“. Dieses Bündeln und Tranchieren liess sich unendlich fortsetzen.

Die US-Hypothekenblase musste irgendwann platzen, weil die Preise stiegen, aber die Leute immer noch gleich viel verdienten und irgendwann ihre Zinsraten nicht mehr bezahlen konnten. In der Folge wollte jeder seine faulen Investments abstossen und die Preise stürzten in den Keller. Das Dumme war nur, dass die ganze Welt in diesen Markt investiert hatte und sogar Kredite im grossen Stil für die Spekulation mit den Immobilien und Hyptheken aufgenommen hatte … mitgegangen – mitgehangen. Herzlichen Dank an die kreativen Finanzjongleure! Die Kreditkartenblase wird als Nächstes platzen, weil die Hypothekarschuldner ihre Zinsen nur noch mit der Kreditkarte bezahlen können, um den Konkurs wenigstens ein paar Monate hinauszuzögern. Wer an noch mehr Details dazu interessiert ist, liest das NZZ Folio 01/09 zum Thema „Die Finanzkrise“ [17]. Dort werden zum Beispiel die Hintergründe zum Geschäft mit Kreditausfallrisiken, den „Credit Default Swaps“ – kurz CDS – erklärt oder geschildert, wie der amerikanische Präsident Richard Nixon am 15. August 1971 die Golddeckung aufhob. Die Golddeckung der Währungsbanken musste übrigens aufgehoben oder zumindest massiv gelockert werden, weil es unmöglich geworden war, gleich viel neues Gold zu schürfen wie die Geldmenge ausgeweitet wurde.

Durch das Platzen der Subprime-Hypotheken-Blase ist das Vertrauen verloren gegangen und niemand gewährte dem andern mehr Kredite – vor allem die Banken untereinander nicht. Dadurch geriet die wundersame Geldschöpfung ins Stocken, was sich direkt auf die Liquidität am Markt ausgewirkt hat. Und jeder mit minimalster betriebswirtschaftlicher Bildung weiss, dass Liquidität das Blut des Wirtschaftskreislaufs ist. Aber ohne Blut kein Leben.

Der Abstieg ist vorprogrammiert

Wir leben in einer verrückten Welt. Solange aber genügend Menschen und Banken und Politiker diesen Mythos vom Wert des Geldes aufrecht erhalten, funktioniert alles, bis das System durch den Selbstbeschleunigungseffekt aufgrund der Exponentialfunktion des Zinseszinses völlig aus dem Ruder gerät und kollabiert. Und dann stellen wir fest, dass wir mit unserer globalisierten Welt mitten in einer weltweiten Finanzkrise stecken, die eine globale Inflation und eine Weltwirtschaftskrise [18] nach sich zieht, wie sie die Welt noch nicht erlebt hat. Diese wird wie bei pathologisch-exponentiellem Wachstum üblich in einem Crash [19] münden. Würde man diesem dann freien Lauf lassen, würde sich das ganze schöne Buchgeld der Banken durch eine Hyper-Inflation in Luft auflösen und nach einer Währungsreform wäre zunächst nur wieder Bargeld (Noten und Münzen) in der Geldmenge. Die Deflation durch die nun massiv kleinere Geldmenge hätte dann logischerweise tiefere Preise zur Folge und die ganze Verschuldungsspirale könnte wieder von Neuem beginnen, wenn das System nicht grundlegend geändert wird. Wann der grosse Crash allerdings genau kommt, kann niemand mit Bestimmtheit voraussagen. Sicher ist nur, dass er kommt und dass dies unausweichlich [20] ist. Das hat nichts mit Pessimismus oder Schwarzmalerei zu tun sondern mit Mathematik und Logik – aber dazu etwas später. Je länger der Crash mit Neubewertungs- und Buchhaltungstricks hinausgezögert werden kann, desto grösser wird er letzten Endes sein.

Noch geht es uns mehrheitlich gut. Doch nur die allerwenigsten sind sich bewusst, dass sie bereits die Henkersmahlzeit geniessen. Und wenn dann zur Geld- und Weltwirtschaftskrise, die durch die sich immer mehr ausweitende Rezession [21] ein immer deutlicheres Gesicht erhält, auch noch eine Energiekrise, eine Umweltkrise und eine Demographiekrise [22] hinzukommen, haben wir ein Viergang-Menu, das wir unmöglich finanzieren können. Aber wir haben es bestellt und hoffen immer noch naiv, davon keine Verdauungsstörungen zu bekommen, während wir es verzehren. Aussagen wie „Es wird keine Wahnsinns-Inflation geben [23]“ von Wirtschaftsprofessor und Nationalbank-Ex-Kadermann Kurt Schiltknecht zeugen von nicht mehr zu überbietender Ignoranz, denn eigentlich sollte er es besser wissen.

Der Fehler ist bekannt und dokumentiert

Eigentlich wollte ich ursprünglich einen umfassenderen Beitrag zum Fehler in unserem Geldsystem und dessen Geschichte schreiben, nachdem ich bereits ein paar einzelne Beiträge zum Geldsystem und zur Finanzwirtschaft [24] geschrieben habe. Doch aus den Weihnachtsferien zurückgekehrt stiess ich auf die hervorragende Artikelserie mit dem Titel „Unter Bankstern“ von Dr.-Ing. Artur P. Schmidt [25] bei Telepolis, die das zins- und schuldenbasierte Geldsystem mit all seinen pathologischen Konsequenzen vor allem auch im sozialen und geschichtlichen Kontext ausführlich beschreibt [26] (auch in voller Länge als Buch erhältlich [27]):

Schmidt entlarvt dabei die Rolle der Banken und ihrer obersten Manager als narzistische Blender und als die grössenwahnsinnigen und gierigen Herrscher über das Geld im Namen des Systems, das die obersten Weltbanquiers selber entworfen und gestaltet haben. Seine Ausführungen sind sehr kompetent und ebenso bissig und pointiert, auch wenn sie in ein paar Punkten vielleicht etwas überzeichnet sind. Sie illustrieren anschaulich, dass es gar nicht anders kommen konnte als zur aktuellen Finanz- und Wirtschaftkrise. Deshalb beschränke ich diesen Beitrag im Folgenden auf ein paar Ergänzungen, Kommentare und Literatur- bzw. Linkempfehlungen meinerseits, bevor ich im dritten Teil auf die mathematischen und wahrnehmungspsychologischen Zusammenhänge sowie auch ethischen Aspekte eingehe.

Wer nach der Lektüre von Schmidts „Bankster-Roman“ noch nicht genug hat oder einfach nur zu faul ist, diesen zu lesen, sollte sich unbedingt den Film „Gib mir die Welt plus 5 Prozent [40]“ ansehen. Anhand der Geschichte von Fabian, dem Goldschmied (PDF [41]) wird das Banken- und Geldsystem erklärt:


Goldschmied Fabian – Gib mir die Welt plus 5 Prozent – Warum überall Geld fehlt

Der Film mit 50 aufschlussreichen Minuten über den grundlegenden Konstruktionsfehler in unserem Geldsystem und das Geheimnis des Banken- und Geldwesens kann auch als DVD auf der Website bei Neue Impulse e.V. bestellt [40] werden. (Um die Unterstützung des Projektes durch eine Spende in freiwilliger Höhe sowie die Verteilung der DVD an Freunde und Bekannte wird gebeten).

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Kommentare sind deaktiviert Empfänger "Unser Geld- und Wirtschaftssystem hat einen Konstruktionsfehler – Teil 2"

#1 Kommentar von Flo am Mittwoch, 10. Juni 2009 00000006 23:36 124466979811Mi, 10 Jun 2009 23:36:38 +0200

Sorry wenn ich jetzt den dritten Teil nicht mehr lese, entweder versteh ich die Sache nicht, oder nicht das System, sondern diese Argumentation hier hat einen Fehler: Es wird davon ausgegangen, dass die Bank ihre Gewinne NICHT wieder zurück ins System gibt, oder? Wie kommt man darauf? Banken zahlen doch Dividenden wie jedes andere Unternehmen auch?

#2 Kommentar von Sociobilly am Donnerstag, 11. Juni 2009 00000006 02:02 124467856902Do, 11 Jun 2009 02:02:49 +0200

Doch doch, die Banken lassen das Geld wieder ins System fliessen, jedoch als Kredit und nicht als Gewinnpartizipation. Die Dividenden, welche die Banken ausschütten, sind lachhaft gegen den Gewinn, den sie durch Aufblasen eines Schneeballsystems einspielen. Wenn das jetzt für Dich alles ein bisschen unverständlich ist, dann schau Dir doch einfach einmal die Videos in den Teilen 3 bis 5 an!