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Die freie Marxwirtschaft rettet den Kapitalismus aus der Finanzkrise

Die aktuelle Finanzkrise [1] schüttelt die Börsen und strapaziert die Nerven der überbezahlten Finanzjongleure. Der Kapitalismus hat auf’s Kläglichste versagt. Von nur einer vorübergehenden Schwäche des Systems kann hier kaum mehr die Rede sein. Es steht unverkennbar ein Systemwechsel an, auch wenn viele es noch nicht wahrhaben wollen. Soll es nun der Marxismus richten? Nachhaltige Erfolge kann dieser schliesslich auch nicht ausweisen. Ist es sinnvoll und wünschenswert, dass der Staat wieder mehr eine aktive Führerrschaft in der Finanzwirtschaft übernimmt? Hat die freie Marktwirtschaft ausgedient? Ist das die Renaissance von Planwirtschaft und staatlicher Regulierung? Ich wage einmal eine Betrachtung, die über das mehrheitlich sinnfreie Gelaber der Medien hinausgeht.

Das Bild, das sich mir zur Zeit bietet, hat etwas Groteskes an sich. Der Staat pumpt kurzfristige Kredite in den ausgetrockneten Markt, um so die Liquidität der Banken zu sichern, und teilweise werden sogar schon Banken (teil-) verstaatlicht, um sie vor dem Konkurs zu retten. Diese Finanzspritzen sollen „das System wieder in Gang bringen“. Je mehr Geld der Staat in das marode Börsen- und Bankensystem pumpt, desto positiver reagiert die Börse – zumindest kurzfristig. Man hofft, mit einer Staatsbeteiligung würde das Vertrauen der Anleger in die Börse und der Banken in einander wieder hergestellt. Viel mehr als eine Brandschneise im Flächenbrand der Finanzmärkte kann die Staatsintervention aber auch nicht bewirken. Der Markt spielt weiterhin verrückt. Und der Steuerzahler bezahlt mit dem grosszügigen „Hilfspaket“ die Zeche für die geplatzte Blase der Finanzspekulanten, die immer mehr unbeteiligte in ihren Sog zieht. Unklar ist nach wie vor, wie sich der Betrag der Finanzspritzen zusammensetzt, wie das Geld in den Markt geschleust werden soll und wer genau davon profitieren darf.

Die Finanzbranche befindet sich seit schon ein paar Jahren mitten in ihrer Industrialisierungphase. Das kann man aus Sicht der Informatik besonders gut beobachten, weil sie das technische Rückgrat jedes Finanzunternehmens darstellt. Die Strukturen werden nach dem Vorbild der Industrie normiert, effizienter gestaltet und auf die Flexibilitätsanforderungen des Marktes fit getrimmt. Aber die aktuellen staatlichen „Finanzhilfen“ bremsen und verhindern den notwendigen Strukturwandel, weil sie falsche Anreize schaffen, am bisherigen System festzuhalten, und dem Publikum eine Sicherheit durch staatliche Fürsorge vortäuschen, die es gar nicht gibt und auch nicht geben kann. Die Katharsis in der Finanzindustrie bleibt vorläufig aus.

Die freie Marktwirtschaft mit freiem Warenhandel und freiem Personenverkehr gilt in der Wirtschaftslehre allgemein als Wohlstand bringend und fördernd. Das war in den letzten Jahrhunderten so, wenn man mal die Ausbeutung der Satelliten der Kolonialmächte ausser Acht lässt, und darauf zielt die EU. Von diesem Wohlstand und der Konsumsucht kann unsere Gesellschaft anscheinend nicht genug bekommen. Der Hedonismus erlebt momentan einen seiner wahrscheinlich grössten Exzesse der Menschheit. Deshalb will man die freie Marktwirtschaft vollständig globalisieren, was einer linearen Extrapolation der bisherigen Gesetzmässigkeiten des Marktes entspricht. Jeder Mathematiker, Physiker und Ingenieur weiss aber, dass lineare Extrapolation immer nur für einen bestimmten Ausschnitt einer Funktion Gültigkeit hat, mit welcher ein Naturgesetz beschrieben wird, und nichts unendlich extrapoliert werden kann. Mit der freien Marktwirtschaft ist es wie mit dem Wein: ein Glas ist wie Medizin, aber wer gleich ein ganzes Fass auf einmal trinkt, bekommt davon Kopfschmerzen, Brechreiz und Durchfall. Gloablisierung bringt Märkte zusammen und lässt sie verschmelzen. Das kann nur funktionieren, wenn die beteiligten Parteien gleich lange Spiesse im Wettbewerb haben. Sonst ist der Nutzen der Globalisierung einseitig. Aber vielleicht ist das ja durchaus gewollt.

Die Gloablisierung der Märkte hat zweckbedingt einen höheren Vernetzungsgrad und eine höhere gegenseitige Abhängig zur Folge. Dominoeffekte sind damit aber systeminhärent vorprogrammiert. Probleme lassen sich nicht mehr regional beschränken, um in der Isolation eliminiert zu werden. Trotzdem wurden nun die meisten Finanzexperten von Weihnachten überrascht, obwohl nicht wenige Finanzfachleute schon seit Jahren vor der sich anbahnenden Krise gewarnt haben. Sie wurden als pessimistische Miesepeter und als praxisfremde Theoretiker – wenn nicht gar als Verschwörungstheoretiker – beschimpft. Bezeichnend ist zum Beispiel, dass einzelne Finanzinstitute Websites kritischer Zeitgenossen auf die Sperrliste ihrer Firewalls gesetzt haben. Angestellte sollen sich nicht frei und unvoreingenommen über Aussagen anders Denkender informieren können. Hier ist Globalisierung nicht erwünscht und wird konsequent bekämpft. Das zeigt die Weltoffenheit der jeweiligen Banken.

Aktien, Obligationen und Finanzbörsen wurden einst erfunden, um durch den Verkauf von Schuld- und Anteilscheinen, Kapital aufnehmen zu können und die entsprechenden Wertpapiere handelbar zu machen. Doch schon bald entwickelte sich eine neue Form des Glückspiels in Form von Wetten auf steigende und fallende Börsenkurse sowie auch Wetten auf den Kurs dieser ebenfalls handelbaren Wettscheine. Diese Börsenkurs-Wetten wurden standardisiert und legalisiert. Damit war das Derivatgeschäft geboren. Die Banken sind in diesem Spiel einerseits die Buchmacher, welche andererseits zusätzlich ihre eigenen Angestellten beschäftigen, um in ihrem Namen mitzuspielen. Als das Spiel schon bald ausgereizt schien, machte man es auch Kleinsparern schmackhaft und lud sie ein, mit ihrem hart Ersparten mitzuspielen. Fortan nannte man die neuen Mitspieler „Kleinanleger“. Doch auch hier bremste die Sättigung schon bald das Wachstum. So wurden immer neue „Finanzprodukte“ erfunden, bis niemand mehr so recht die Übersicht hatte, das Spiel ausser Kontrolle geriet und das Kartenhaus nun eingestürzt ist.

Staatsgarantieren, Staatsbeteiligungen und die vorübergehende Aussetzung des Börsenhandels sind wohl kaum wirklich geeignet, um der aktuellen Misere Herr zu werden. Diese Mittel verzerren den Markt und zögern eine Lösung lediglich hinaus. Das einzig Wirksame wäre logisch gesehen, das Glückspiel in Form von Finanzwetten und somit Derivate zu verbieten. Aber welcher Politiker möchte sich schon bei den Mächtigen der Finanzwelt unbeliebt machen?

Nachtrag vom 14.10.2008

Wenn Derivatgeschäfte (trotz aller Vernunft) weitergeführt werden sollen, müssen wenigstens die Spieler, Prediger und Buchmacher getrennt werden. Eine Bank, die eigene Kaufs-/Verkaufsempfehlungen abgibt, selber mitwettet und zugleich bei jeder Transaktion an den Kommissionsgebühren dick mitverdient, steckt in einem Interessenkonflikt. Hier sollte die gleiche Gewaltentrennung herrschen wie in der Politik.

Aber auch die Bilanzierung und Besteuerung von Wertschriften müsste grundlegend geändert werden. Es darf nicht sein, dass Buchgewinne an den Börsen als Eigenkapitalzuwachs zu versteuern sind, und ebenso wenig dürfen überbewertete Wertpapiere die Bilanz eines Unternehmens verfälschen. Das führt nur zu Buchhaltungsakrobatik und einer Schwächung von Unternehmen und der gesamten Wirtschaft. Ein Titel sollte bilanz- und steuertechnisch nur maximal zum Einstandpreis bewertet werden. Zu versteuern wäre nur der realisierte Gewinn beim Verkauf. Zumindest auf dieser Baustelle ist die EU-Kommission bereits aktiv geworden [2].

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Kommentare sind deaktiviert Empfänger "Die freie Marxwirtschaft rettet den Kapitalismus aus der Finanzkrise"

#1 Kommentar von toss am Dienstag, 28. Oktober 2008 00000010 09:36 122518296609Di, 28 Okt 2008 09:36:06 +0100

interessanter, souverän geschriebener Artikel, vielen Dank
den Blog muss ich mir merken.